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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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schweigsam, jeder war in seine eigene Dunkelheit gehüllt. Sie fanden Trost in dem Wissen, daß ihr Tod, wenn er kam, ein Märtyrertod sein würde und daßihr Opfer vielleicht den Menschen, die sie liebten, das Leben und die Freiheit vom Joch des Islam erkaufen konnte.
    Tannhäuser und Bors saßen im letzten von drei Booten, auf die man fünfzig maltesische und spanische Soldaten, zwölf Ritter und Feldwebel des Ordens, verschiedene Vorräte, zehn Sklaven in Ketten und eine Reihe von Schafen verteilt hatte, denen man Kapuzen übergestülpt hatte, um sie am Blöken zu hindern. Der große schwarze Schatten des Monte Scibberas ragte bedrohlich zu ihrer Linken auf. Auf seinen Hängen leuchteten so viele Fackeln und Feuer, daß sie beinahe mit dem sternenübersäten Firmament wetteiferten. An der dem Meer zugewandten Seite des Berghangs, jenseits der scharfen Kante, wo südlich der Festung St. Elmo die Küste einen Bogen machte, warf ein türkisches Arbeitsbataillon etwas auf, was wie eine Palisade aussah, wenn Tannhäuser auch nicht ausmachen konnte, gegen was es sie verteidigen sollte. Dann drang durch die Stille ein scharfer Ton. Das anmutige Auf und Ab der Stimme des Imams, seine rhythmischen Wiederholungen rührten Tannhäusers Herz an. Der Koran enthielt Allahs Anweisungen für die Menschen, und Arabisch war die Sprache, die Er gesprochen hatte. Der Koran konnte in keine andere Sprache übersetzt werden. Obwohl die Worte auf diese Entfernung nur verschwommen klangen, hegte Tannhäuser keinen Zweifel an ihrem Inhalt, denn er hatte sie zu oft gehört, auf zu vielen blutigen Schlachtfeldern.
    Es waren die Worte der Sure Al-Fath , der Sure der Eröffnung.
    Zum Rhythmus des Gesangs murmelte Tannhäuser die arabischen Worte.
    »Und jene, die nicht an Allah und Seinen Gesandten glauben – für die Ungläubigen haben wir ein flammendes Feuer bereitet.«
    Bors warf ihm einen Blick zu.
    »Hör nur«, sagte Tannhäuser. »Die Löwen des Islam brüllen.«
    Ein Feuer wilder Explosionen zerriß die Dunkelheit der Bergflanke, als nicht weit weg hundert Belagerungsgeschütze eine erste Salve losließen. Flammen loderten orange, gelb und blau aus den Drachenmäulern ihrer Mündungen, Funken stoben in die milde Nachtluft hinauf. Im kurzen, grellen Lichtschein desMündungsfeuers sahen sie auf den Bergflanken Unmengen von Soldaten zu Karrees angetreten. Tausende und Abertausende von Soldaten, alle willens und begierig darauf, vor das Angesicht Allahs zu treten.
    »Bei Christi Wunden!« sagte Bors ehrfürchtig.
    In dem benommenen Schweigen, das auf den ungeheuerlichen Beschuß folgte, schrie ein Imam mit schriller Stimme den angetretenen Gläubigen einen Aufruf zu. Die Horden der Gazi antworteten wie ein Mann mit einem Ausruf, der lauter und furchterregender war als die Wut der Kanonen.
    »Allahu akbar!«
    Der Schrei strich über das Wasser wie ein Wind vom Tor der Hölle. Niemand in der Gesellschaft der Christen hatte je dergleichen gehört, und allen Männern liefen kalte Schauer über den Rücken, kälter als die Wasser des Styx.
    »Allahu akbar!«
    »Für Christus und Johannes den Täufer!« schrie Bors, denn er mochte es nicht, wenn man ihn übertönte, und die Männer in den Booten nahmen seinen Ruf auf, aber es waren nur wenige, und schon ließen die Horden ihren Schrei wieder ertönen.
    »Allahu akbar!«
    In diesem Augenblick wußte Tannhäuser genau wie alle anderen Männer in ihrem Boot, daß dies ein Urschrei aus dem tiefsten Herzen war, ein Heulen, das über die Jahrtausende erschallt war. Es war die Stimme eines Gottes, dessen Macht schon seit Urzeiten bestand, als alle anderen Götter noch nicht geboren waren. Eines Gottes, dessen Reich alle geringeren Religionen umfaßte, dessen Herrschaft weiter bestehen würde, wenn alle anderen Götzenbilder zu Staub zerfallen waren. Es war der Aufruf, am Altar des Krieges niederzuknien. Die Aufforderung, einen Durst zu löschen, der die Menschheit immer quälen würde. Tannhäuser stockte der Atem, Tränen traten ihm in die Augen. Er wischte sie weg und atmete den Inbegriff der Sterblichkeit. Das bedeutete es, ein Mensch zu sein, das und nichts anderes.
    »O Gott!« sagte Bors. Auch seine Augen leuchteten. »O Gott!«
    Der Schlachtruf der Moslems wandelte sich zu einem Wutgeheul, die Kapellen der Janitscharen stimmten ihre martialische Musik an, und Musketensalven flammten auf. Dann erschallten Hörner, die Banner flatterten, und die unbesiegbaren Horden rollten den Hang hinunter auf

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