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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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lagen halb im Wasser versunken am Fuß der steilen Klippe, auf der die östliche Mauer errichtet worden war. Die Krieger stiegen hinter Aiguabella und seinen Ordensbrüdern die Steintreppe hinauf. An Land bewegten sich die Ritter in ihren Rüstungen so leichtfüßig wie Gebirgsziegen. Tannhäuser lud sich das Bündel aus Helm und Küraß auf, die er im Boot nicht getragen hatte, um sie vor dem Wasser zu schützen.
    »Wenn wir in die Schlacht ziehen, will ich mehr Stahl um mich haben als nur das hier.«
    Bors antwortete: »Dann sollten wir uns ein paar tote Ritter suchen.«
    Nachdem sie das Festungstor erreicht hatten, fragte Tannhäuser die Wache, wo sich das Feldhospital befand. Sie wurden zur Kapelle am nördlichen Ende der Festung gewiesen. Als sie die Ausfallpforte passiert hatten, blieben sie wie angewurzelt stehen. Solch ein Anblick hatte sich ihnen noch niemals geboten.
    Die innere Wehr der Festung war ein mit Kratern übersätesÖdland, auf das sich niemand hinauswagte. Die zerborstenen Steinplatten waren mit Kanonenkugeln aus Eisen und Granit übersät, manche groß genug, daß man sich auf sie setzen konnte. Hier und da konnte man die Umrisse von kleineren Gebäuden ausmachen, die entweder durch feindliches Kanonenfeuer zerstört oder von den Belagerten geschleift worden waren. Die Steine hatte man dazu benutzt, die rauhe Brustwehr aufzutürmen, die im Zickzack über das offene Terrain verlief, denn inzwischen war kaum noch ein Fußbreit der inneren Wehr übrig, wo man nicht dem Feuer der türkischen Musketen ausgesetzt war.
    Rechts von ihnen klafften riesige Löcher in der nordwestlichen Mauer, und man hatte aus den Steinen der zerschossenen Häuser, aus Erde, Balken und Bettzeug ein zweites Bollwerk errichtet. Dieser Verteidigungswall war im Augenblick unbemannt und sah wie das Hirngespinst eines Wahnsinnigen aus, das er hier aufgebaut und aus Trotz wieder verlassen hatte.
    Auf der Südseite, gegenüber vom eroberten Ravelin und den wichtigsten türkischen Stellungen auf dem Monte Sciberras, konnte die Kurtine nicht mehr als eigentliche Mauer bezeichnet werden. Sie war nur noch ein großer Trümmerhaufen, den man zu einem groben Verteidigungswall aufgehäuft hatte. Noch immer schufteten Sklaven im Mondlicht, angetrieben von der Trillerpfeife und der Peitsche des Aufsehers, nackt und gespenstisch, und schleppten Mauerbrocken von einem Paar Hände zum anderen, bis die Steine wieder auf der Festungsmauer gelandet waren. Der Rand des V-förmigen Ravelins auf dem von den Türken besetzten Gebiet jenseits der Wälle ragte nun bedrohlich höher auf als die Verteidigungsmauern der Christen. Hinter diesem Schutzwall hervor erschallte das gelegentliche Dröhnen der Musketensalven.
    Doch dieser Beschuß vom Ravelin war nur ein Ablenkungsmanöver. Der Hauptstoß von Mustafas nächtlichem Angriff richtete sich gegen eine riesige Bresche in der westlichen Spitze im südlichsten Vorsprung der Festung.
    Die Garnison umfaßte an dieser Stelle vielleicht fünfhundertmaltesische Freischärler, deren Mut und Zähigkeit alle verblüfft hatte, am meisten die Türken, und zusätzlich zweihundertfünfzig Mann von den legendären spanischen Tercios und ungefähr achtzig Ordensritter. Die Hälfte dieser Kämpfer war damit beschäftigt, die Angriffswellen zurückzuschlagen. Man hatte Wachen an verschiedenen Punkten der Umgangsmauer postiert, die Ausschau nach Angreifern an einer zweiten Angriffsfront halten sollten. Einige wenige christliche Kanonen brüllten von ihren schwer mitgenommenen und gefährdeten Geschützständen. Der größte Teil der Reserven war in den Windschatten der westlichen Mauer zurückgezogen worden und wurde dort von den inneren Bollwerken und der Brustwehr vor den auf dem Ravelin postierten Scharfschützen geschützt. Befreite christliche Sklaven – Kriminelle, Homosexuelle, Ketzer – sammelten die Kanonenkugeln auf dem Innenhof ein und bestückten die Kanonen damit. Befreite Juden trugen Bahren, schlichen sich in einer immer wieder unterbrochenen Kette zur Front und zurück, brachten verletzte Männer in ein Gebäude, das sich in den Schatten der nördlichen, der See zugewandten Mauer befand.
    Tannhäusers Augen wanderten über den Aufruhr, der vor ihm tobte. Wo war Orlandu in diesem Tumult? Der Junge hatte keine Übung mit Waffen und war nicht sonderlich stark.
    »Du kennst Orlandu«, sagte er zu Bors. »Wo würdest du ihn einsetzen?«
    Bors runzelte die Stirn. »Als Pulverjungen?

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