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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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dieser Zeit mehr Blutvergießen als die meisten anderen Truppen in zehn Dienstjahren. Diejenigen, die bereits seit Anfang der Belagerung – vor achtzehn Tagen – dabei waren, und viele der Tercios unter ihnen, waren von anderem Schrot und Korn. Sie hockten im Staub, ihre Hellebarden und Spieße neben sich auf dem Boden, redeten nur wenig und waren von einer unnatürlichen, hohläugigen Ruhe. Ihre Kleider waren zerlumpt, die Stiefel zerschlissen. Haare und Bärte waren dreckverkrustet, die Gesichter mit Schorf und Prellungen übersät. Die meisten hatten dürftig verbundene Wunden oder Verbrennungen, Finger fehlten, Arme wurden in der Schlinge getragen, oder sie humpelten unter Schmerzen, die sie mit ergebenem Gleichmut ertrugen.
    An der Spitze jeder Kompanie standen die Ritter nach Zungen gruppiert: Franzosen, Auvergner und Provenzalen. Die Italiener und Aragoner, hieß es, waren im Augenblick mitten im Getümmel. Das Zischen von Stahl auf Schleifsteinen vermischte sich mit dem Klang der gemurmelten Vaterunser. Die Disziplin war streng, und die Moral war besser, als man es für möglich gehalten hätte. Wie müde und abgeschlagen sich die Soldaten auch fühlten – eine gemeinsame Kraft schien sie zu verbinden. Sie hatten wohl den Heiligen Geist heraufbeschworen. Tannhäuser hatte derlei schon früher verspürt, auf der anderen Seite der Belagerungsmauer, wo man Allah als Kraftquelle zitierte. Was war der Unterschied, um den es hier ging, dessentwegen sich diese Krieger gegenseitig zerfleischten? Ging es um den Namen – das Wort – für das gleiche Konzept eines göttlichen Wesens? Oder gab es gar nichts Göttliches, und all dies hier war die einzige bindende Kraft, nur von Menschen geschaffen, von Männern, die sich hier aus Gründen wiederfanden, die niemand erklären konnte, die durch puren Zufall an ihre Gruppen geschmiedet waren: durch ihre Geburt, durch ihr Land, durch das Schicksal?
    Tannhäuser hatte selbst auf der anderen Seite gestanden und das gleiche Prickeln verspürt, das er nun wieder fühlte. Für eine gemeinsame Sache zu kämpfen und zu sterben, für Gut oder Böse, für gleichgültig welchen Gott – es würde den genau gleichen Zwang in ihnen allen hervorrufen. Bors hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Die gleiche Liebe. Der Zauber war überwältigend. Gegen seinen Willen merkte er, wie sein Herz sich nach dem Kampfgetümmel sehnte. Sein Mentor Petrus Grubenius wäre verzweifelt.
    Du bist nur des Jungen wegen hergekommen, versuchte Tannhäuser sich wieder ins Gedächtnis zu rufen. Amparo wartete auf ihn, und wenn sie ihn ansah, dann erblickten ihre Augen nur ihn allein. Einen solchen Blick hatte er noch nie erlebt, außer vielleicht in Erinnerungen, die so lang verloren schienen, daß sie nur mehr ein Traum waren. Erst hier, im Geruch von Pulverdampf, wurde ihm klar, daß er sie liebte. Doch liebte er diesen Kriegsgestank mehr als Amparo? Und was war mit der Contessa, deren Hand er gewonnen hatte? Zwei wunderbare Frauen und ein herrlicher Krieg wetteiferten um seine Gunst.
    »Ich muß so verrückt sein wie die anderen«, murmelte er vor sich hin.
    »Mattias«, knurrte Bors.
    Tannhäuser faßte sich und schaute ihn an.
    »Was ist los mir dir? Du starrst den Mond an, als glaubtest du, dort eine Antwort finden zu können. Das kannst du aber nicht.«
    »Glaubst du, der Kampf hier wird uns unsere Seele kosten?«
    »Pah! Und wenn, dann haben wir einen guten Preis dafür bezahlt. Ich kenne dich gut – du grübelst immer zu viel. Hier draußen solltest du das Denken mir überlassen. Mein Hirn ist nicht verwirrt von all diesen eitlen Gedanken und weibischen Grillen.«
    »Weibisch?« Tannhäuser machte einen Schritt auf ihn zu.
    »So ist es schon besser. Da sieh nur! Le Mas ist hier. Er ruft uns.«
    Tannhäuser wandte sich um, als Oberst Pierre Vercroyan leMas auf sie zugehumpelt kam. Eine frische Naht verlief ihm quer über das Kinn und den Hals hinunter bis unter den Ringkragen. Er lächelte und hielt Tannhäuser beide ausgestreckten Arme entgegen.
    »Hätte nicht erwartet, Euch hier zu sehen«, sagte Le Mas. »Hätte auch nie gedacht, daß Euch der Sinn nach Märtyrertum steht.«
    Bors erwiderte: »Man hat uns gesagt, die frische Luft hier solle gut für unsere Gesundheit sein.«
    Le Mas atmete tief ein. »Wahrhaftig, die Luft ist lieblich. Nun aber im Ernst.«
    »Wir sind gekommen, um einen Jungen nach Birgu zurückzuholen«, sagte Tannhäuser. »Auf Befehl des Großmeisters. Orlandu Boccanera.

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