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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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brüllte ihm unter einer zerbeulten Sturmhaube etwas zu, die Augen funkelten dämonisch im Flammenschein. Orlandu blickte verständnislos und benommen zurück. Der Tercio deutete mit dem Finger nach unten, und Orlandu, der mit offenem Mund keuchte, wandte sich um. Die Wanne, die er an einem Seil hinter sich herzog, war leer. Der Tercio spuckte noch hinein, um seinen Abscheu auszudrücken.Orlandu rappelte sich auf und schleppte sich in die andere Richtung zurück. Er war zu verwirrt, als daß ihn das Fluchen beleidigt hätte. Der Tercio versetzte ihm noch einen Tritt, dann taumelte er wieder durch die Reihen der Soldaten und die Böschung hinunter.
    Alle Warnungen vor Heckenschützen waren vergessen. Als hätte er gerade eben erst laufen gelernt, so trottete Orlandu über den mit Kanonenkugeln übersäten Festungshof. Die leere Wanne tanzte hinter ihm auf und ab. Am Tor dessen, was einmal die Stallungen gewesen waren, blieb er stehen, ließ die Wanne los und sackte, an eine Wand gelehnt, zusammen. Sein Helm, den er mit Sackleinen ausgestopft hatte, damit er ihm paßte, rutschte ihm vom Kopf. Orlandu ließ ihn liegen, wo er hingerollt war, und riß sich das durchnäßte Sackleinen ab, das er immer noch um den Schädel geschlungen hatte. Er wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Seine Augen brannten, seine Brust bebte, und er bemerkte, daß er wie ein kleines Kind den Tränen nah war, nicht aus Traurigkeit oder Furcht, sondern aus grenzenloser Verwirrung und Hilflosigkeit. Ehe er diesen Gefühlen freien Lauf lassen konnte, biß er die Zähne zusammen und hielt den Atem an.
    Für Christus und Johannes den Täufer. Für den Orden und seine Landsleute. Für Malta. Seine Lebensgeister erwachten wieder. Orlandu wickelte sich das feuchte Tuch erneut um den Kopf und setzte den Helm auf. Er zerrte die leere Wanne in den Stall, der inzwischen zur Feldküche geworden war. Der Koch Stromboli blickte von seinen Flaschen, Fässern und Körben auf und wedelte mit dem Messer herum, mit dem er gerade Brotlaibe aufschnitt.
    »Wo bist du gewesen?« herrschte er ihn auf italienisch an. »Die Soldaten haben Durst.«
    Orlandu spuckte auf den Boden, stellte die leere Wanne ab und versetzte ihr einen Tritt. Auf maltesisch antwortete er: »Ich bin durch die Scheiße gekrochen, du alter Mistkerl, und was hast du hier gemacht?«
    Stromboli hatte, wie Orlandu nun feststellen mußte, genügendZeit auf den Märkten vor Ort verbracht und dort mit den Leuten geredet, um ihn zu verstehen. Er stürmte herbei und gab Orlandu eine kräftige Ohrpfeife.
    »Brot und Wein von Gott. Das mache ich hier. Ohne mich wäre die Schlacht längst vorbei.«
    Er deutete mit dem Messer auf drei andere Wannen, die aufgereiht warteten, jede bis beinahe zum Rand mit Brotbrocken gefüllt, die man in Olivenöl getaucht und dann in eine Marinade aus Rotwein, Salz und belebenden Kräutern eingelegt hatte. Zuvor hatte ein Kaplan diese Speise gesegnet und mit Weihwasser besprenkelt.
    »Rasch jetzt! Und verschütte bloß nichts! Und bleib nah an der Mauer, sonst wird nicht nur dein Gehirn in alle Winde geblasen, sondern auch das Essen.«
    Orlandu packte schweigend die erste Wanne bei beiden Griffen, fand sein Gleichgewicht und ging mit unsicheren Schritten durch die Tür, wobei die Wanne immer an seine ohnehin schon von blauen Flecken übersäten Oberschenkel schlug. Vor der Tür setzte er sie ab und nahm eine Handvoll von dem roten Brei, genau wie die Soldaten es machten, wenn er die Wanne in die vorderste Linie geschleppt hatte, und stopfte sich alles in den Mund. Er schlang es herunter, kaute kaum auf den weichen, saftigen Krusten und fand diese Speise köstlicher als alles, was er je gegessen hatte. Zum erstenmal war er klug genug gewesen, auch selbst davon zu essen, und sofort spürte er, wie die Kraft in seine Beine zurückkehrte. Stromboli war ein Mistkerl, aber seine Essenswannen waren angefüllt mit einem Lebenselixier. Brot und Wein von Gott. Orlandu langte herunter, um sich eine weitere Handvoll zu nehmen, als die stumpfe Seite von Strombolis Messer auf sein Handgelenk niedersauste.
    »Das Essen ist für die Soldaten, nicht für die Schweine!«
    Orlandu wuchtete die Wanne hoch und taumelte in die Dunkelheit hinein, die den Festungshof umhüllte. Die Seile schnitten ihm in die Finger, und seine Unterarme brannten genau wie seine Arme, wie eigentlich sein ganzer Körper. Der billige lederneKüraß, den er Tomaso gestohlen hatte, hatte ihm Hüften und Ellbogen bis auf

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