Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
Vom Netzwerk:
Naturheilkunde und über Heiltränke. Diese Geheimnisse hatte er von Petrus Grubenius gelernt. Dann entnahm er seinem Rucksack einige Beutel, deren Inhalt er beschrieb.
    »Hier haben wir Kampfer, Wintergrün und Osterluzei, vergoren mit Mutterkraut und Odermennig. Kocht den Sud im Verhältnis eins zu zwei mit Wein auf, fügt eine Prise Salz hinzu, und bindet die Kräuter auf die Wunde. Der restliche Wein kann als Heiltrank verabreicht werden – je ein Löffel am Morgen ist ausreichend.«
    Jurien de Lyon, der mit diesem Mittel vertraut war, nickte und brachte seinen Dank zum Ausdruck.
    Tannhäuser zog ein verstöpseltes Glasfläschchen mit granatrotem Öl aus dem Rucksack. »Wundöl nach Petrus Hispanus – Leinsamenöl und Auszug aus der Kamille, gereinigt mit Lorbeerbaumbeeren, Zehrkraut, Zimt und Johanneskraut. Einige Tropfen in dunklem Wein, dreimal täglich, helfen bei der Wundheilung. Haltet das Fläschchen stets gut verschlossen, sonst verfliegen die Heilkräfte rasch.«
    Vom Vestibül hörte man ein derart lautes Klirren, daß es sogar über das Stöhnen der Kranken hinweg vernehmlich war. Tannhäuser zog aus dem Rucksack zwei in Öltuch eingeschlagene Tafeln Opium heraus.
    »Dies muß ich Euch nicht erklären. Opium von den Mohnfeldern Persiens.«
    Jurien trat beinahe einen Schritt zurück. »Bruder Mattias, Euch schickt der Himmel.«
    »Wie alle Wunder dieser Art ist auch der Mohn Teil des Himmelssegens, wenn er auch am besten im Land der schiitischen Teufel gedeiht. Nehmt diesen kleinen Beitrag von Eurem deutschen Bruder an.«
    Jurien versicherte ihm, kein Wunsch würde ihm abgeschlagen werden. Da Tannhäuser ihn für unbedingt vertrauenswürdig hielt, rollte er seinen Rucksack zusammen und bat den Chirurgen, ihn aufzubewahren.
    Als Tannhäuser durch das Vestibül hinausschritt, beging er ein unaussprechliches Sakrileg und stahl das Schwert eines toten Ritters. Er traf instinktiv eine gute Wahl. Selbst in der Scheide fühlte sich das Schwert schon wie eine Verlängerung seines Arms an.Sein eigener Stoßdegen, den Julian del Rey geschmiedet hatte, war in Straßenkämpfen nicht zu übertreffen, doch er war zu fein für die Arbeit, die vor ihnen lag. Für die Schlacht brauchte man ein Werkzeug, das kräftig wie eine Pflugschar war. Er ließ seinen DelRey-Degen bei dem Leichnam zurück und schlüpfte ins Freie.
    Tannhäuser fand Bors auf einer Gasse neben der Kapelle, umgeben von einem Haufen von Stahl. Der Engländer versuchte seine ungeschlachten Füße in ein Paar Panzerschuhe nach Kuhfußmanier zu zwängen. Tannhäuser stellte fest, daß sie groß genug waren, um über seine eigenen Stiefel zu passen, und schaute sich den Rest der Sammlung an. Es war kein vollständiges Beinzeug da, das für ihn lang genug gewesen wäre. Also löste er ein paar Nieten, um vorhandenes Beinzeug auseinanderzunehmen, rollte seine Stiefel bis zum Knie herunter und stopfte eine Beinschiene vorne in den Stiefelschaft. Er fand Kniekacheln, die für seine Knie paßten, rollte die Stiefel wieder bis zur Leiste hoch und stopfte oben noch Oberschenkelkacheln hinein. Danach wickelte er den mitgebrachten Ballen aus und legte den Küraß an, den Hans Grünwald, ein berühmer Harnischmacher aus Nürnberg, geschmiedet hatte. Bors half ihm, die Schulterplatten und Armschienen anzuschnallen. Der Engländer gab schließlich die Panzerschuhe ab, erhob aber Anspruch auf das einzige Paar gepanzerte Fingerlinge, das beiden paßte. Tannhäuser gewann den Streit, weil Bors bereits die Damaszener Muskete bekommen hatte, und steckte sich die Handschuhe in den Gürtel. Bors fand ein Paar Panzerfäustlinge, die ihm reichen mußten. Ihre Helme waren Sturmhauben mit hoher Glocke und Wangen- und Kinnklappen, die unter dem Kinn mit roten Seidenbändern befestigt waren. Nun war jeder Mann gut fünfzig Pfund schwerer. Sie nahmen ihre langen Gewehre in die Armbeuge und machten sich auf den Weg an der westlichen Umfassungsmauer entlang auf die Flammen zu.
    Während sie an den Ersatzmannschaften vorbeigingen, fragten sie nach Orlandu. Niemand kannte ihn. Der Junge war frisches Fleisch und daher allen gleichgültig. Die uralte mathematische Formel kam wieder einmal zum Tragen: Je länger man überlebte,desto länger würde man wahrscheinlich weiter am Leben bleiben. Unter so harten Bedingungen, in denen achtstündige Angriffe unmittelbar auf ein zwölfstündiges Bombardement folgten, wurden Menschen innerhalb von achtundvierzig Stunden zu Veteranen und sahen in

Weitere Kostenlose Bücher