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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Angriff stählten, trat Bors neben ihn und schmatzte genießerisch. Er warf Tannhäuser einen Blick zu.
    »Und?« fragte Bors.
    Tannhäuser schlug ihm auf den Rücken und lächelte: »Ruhm!«

M ONTAG , 11. J UNI 1565
Im Niemandsland
    Als der Morgen über den östlichen Befestigungsmauern dämmerte, überzog sein mattes Licht die öligen Rauchschwaden mit einem gelben Schein. Irgendwo hinter diesem düsteren Nebel bliesen die türkischen Trompeten zum Rückzug. Die besiegten Überreste von einem Dutzend Ortas der Janitscharen lösten sich im Dunst auf wie Geister. Entlang des Grates schauten die zerlumpten Soldaten des Kreuzes benommen und beinahe gleichgültig zu, wie ihre Feinde im Nichts verschwanden. Sie waren zu erschöpft, um auch nur zu begreifen, daß der Sieg ihnen gehörte und daß ihr Banner einen weiteren Tag wehen würde.
    Tannhäuser sank auf ein Knie und lehnte sich auf die Parierstange seines Schwertes, ließ die Stirn auf den Panzerhandschuhen ruhen und schloß die Augen. Einige kostbare Momente lang fühlte er sich allein in einer unendlichen Stille, in die er keine Fragen schickte und aus der auch keine Antworten kamen. Dann hörte er wieder das jammernde Rufen der Verwundeten und viele heisere Gebete, die Gott nicht nur priesen, sondern Ihn auch um Verzeihung anflehten.
    Tannhäuser hob den Kopf. Sein Nacken war steif und schmerzte unter dem Gewicht seines Helmes. Er zog seine Panzerhandschuhe aus, die voller Blut waren. Seine Hände waren mit blauen Flecken übersät, und seine Knöchel schmerzten, wenn er sie bewegte. Im Gold des Armreifs an seinem Handgelenk waren zwei tiefe Kerben zu sehen. Nicht für Reichtümer oder Ehre, sondern um meine Seele zu retten. Er packte die Handschuhe weg, stützte sich auf seinen Streitkolben und erhob sich. Sein Schwert schob er in die Scheide. Das Licht der Dämmerung fiel auf eine Landschaft, die so grauenhaft war, daß es kein Künstler wagen würde, sie abzubilden, weil er fürchten mußte, sich so einen ewigen Fluch zuzuziehen.
    Jenseits des zerstörten Festungswalles, auf dem Tannhäuserstand, lagen die Leichen von beinahe fünfzehnhundert Moslems. Hier und da flackerten noch Lachen von griechischem Feuer auf.
    »Und all diese Männer sind als Christen geboren?«
    Tannhäuser wandte sich zu Agoustin Vigneron um. Die Augen des Franzosen waren blutunterlaufen. Seine Stimme war zu einem heiseren Krächzen herabgesunken.
    »Die meisten«, erwiderte Tannhäuser.
    Agoustin schüttelte den Kopf. »Wie schrecklich, daß ihre Seelen nun in die ewige Verdammnis eingegangen sind.«
    Tannhäuser erwiderte nichts. Er steckte seinen Streitkolben wie ein heidnisches Denkmal aufrecht zwischen ein paar grobe Steine und ging, um sich nach Bors umzuschauen.
    Er fand den Engländer draußen im Niemandsland, bäuchlings auf einem gelb gekleideten Janitscharen zusammengesackt. In der rechten Hand hielt er noch den Dolch, der in der Brust eines Toten steckte. Tannhäuser humpelte in seinen zerfetzten Stiefeln zu ihm hin. Bors wirkte völlig teilnahmslos. Dem rasselnden Atem nach zu schließen, erstickte er beinahe an seinem eigenen Blut. Tannhäuser brauchte zwei Anläufe, um den in die Stahlrüstung gehüllten Körper auf den Rücken zu drehen. Einen Augenblick lang schrak er vor dem Anblick zurück, der sich ihm bot. Es sah aus, als hätte ein Hieb Bors das halbe Gesicht abgetrennt. Eine breite Wunde klaffte von oberhalb seiner rechten Braue bis zum linken Kinnbacken, hatte ihm Nase und Wange übel zerschnitten. Die Lippen waren bläulich verzerrt. Er blutete stark, aber bei näherem Betrachten wirkten die Verletzungen nicht lebensbedrohend.
    Tannhäuser bezwang seinen Schrecken. Er zog den Dolch aus der Leiche und schnitt damit die Halteriemen von Bors’ Küraß durch. Da Bors von heftigen Hustenanfällen geschüttelt wurde, war das keine leichte Aufgabe, doch schließlich konnte er ihm die schweren Panzerplatten abnehmen. Von der Rüstung befreit, bekam Bors wieder leichter Luft. Auch seine Gedanken schienen sich zu klären. Er versuchte Tannhäuser am Hals zu packen und zu würgen. Ein Auge war zugeschwollen, und das andere warvoller Blut. Er konnte offenbar kaum noch etwas sehen. Tannhäuser packte ihn bei den Handgelenken.
    »Bors, ich bin’s, Mattias. Der Kampf ist zu Ende.«
    »Mattias?« Bors streckte sein Gesicht gen Himmel.
    »Ja. Der Kampf ist vorbei«, wiederholte er. »Wir haben sie bezwungen, im Augenblick jedenfalls.«
    »Und ich bin erledigt?« Die tiefe

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