Das Sakrament
beiden schritten an etlichen Verletzten vorüber. Tannhäuser versuchte die mitleidheischenden Schreie dieser Unglückseligen nicht zu hören. Im Inneren der Kapelle wurde am Altar eine Dankesmesse für den Sieg gelesen. Wenige Schritte entfernt arbeiteten die Chirurgen mit ihrer Knochensäge. Tannhäuser hoffte, daß er Bors so viele Schmerzen wie möglich ersparen konnte, er ging zu seinem Rucksack, den er hier zurückgelassen hatte, und holte eine Flasche Branntwein heraus, den Bors in gierigen Schlucken trank.
Tannhäuser brachte einen der beiden Chirurgen zu ihnen herüber. Jurien de Lyon wandte sich von einem verletzten spanischen Soldaten ab und nähte die Wunde in Bors’ Gesicht mit siebenundzwanzigStichen aus Schafsdarm. Als er fertig war, waren die Gesichtszüge des Engländers so angeschwollen, daß er überhaupt nichts mehr sehen konnte. Tannhäuser schulterte den Rucksack, trank den Rest Branntwein und führte Bors hinaus.
Sie setzten sich in den Schatten. Orlandu wuchs erheblich in ihrer Achtung, als er ein Frühstück mit Ochsenleber, roten Zwiebeln und einem Lederbeutel Wein besorgte. Kurz darauf fiel ein wütender Mönch über den Jungen her und bedrohte ihn mit einer Kupferkelle. Stromboli hatte es allein Tannhäuser zu verdanken, daß er nicht die Klinge eines Hancher zu spüren bekam. Doch der Alte erwies sich keineswegs als dankbar für diese Rettung und verhielt sich so gräßlich, daß Tannhäuser, der nach sechs Stunden in der Bresche ein wenig gereizt war, ihm kurzerhand die Kelle abnahm und sie ihm so um den Hals schlang, daß er blau anlief.
»Geh und schäle weiter deine Zwiebeln«, sagte Tannhäuser zu ihm, »derweil die kämpfenden Männer versuchen, wieder zu Kräften zu kommen.«
Während er sich zum Schlafen hinlegte, überlegte Tannhäuser, daß der Junge ihm nach dieser Begegnung noch mehr ans Herz gewachsen war.
Als er aufwachte, war er steif wie ein Brett und verspürte mehr Schmerzen als je zuvor nach einer Schlacht. Der Abend war hereingebrochen, der Tag war kühler geworden.
Obwohl sich Bors zunächst weigerte zurückzukehren, organisierte Tannhäuser dessen Überfahrt über den Hafen. Für einen Topf Aprikosenkonfitüre durfte der Engländer vor einer langen Reihe viel schwerer verletzter Soldaten an Bord gehen. Die Boote waren aber bis auf den letzten Platz mit Verwundeten belegt, so daß es Tannhäuser nicht gelang, auch sich und Orlandu unterzubringen. Er mußte seine Rückkehr bis zur folgenden Nacht aufschieben. Nach einem so brutalen Rückschlag würde Mustafa jedoch Tage benötigen, um einen weiteren Angriff vorzubereiten. Um Bors milder zu stimmen und zu besänftigen, schob Tannhäuser ihm einen Klumpen rohes Opium in den Mund, das zwei kleinere Männer leicht umgebracht hätte. Dann stopfte er ihm noch ein Pfundvon dem Zeug ins Hemd. Drei Stunden später führte er ihn wie einen Stier zu den wartenden Booten. Bors gab sich inzwischen der Illusion hin, daß man ihn nach St. Elmo schickte und nicht etwa von dort herausbrachte. Schließlich sah Tannhäuser mit einiger Erleichterung, wie sein Freund über das Wasser verschwand.
An den nächsten beiden Tagen fanden erneut lediglich die am schwersten verletzten Krieger Platz in den Booten. Tannhäuser stand Seite an Seite neben Le Mas und dem edlen Jurien am Kai und war entsetzt, was für einen traurigen, feigen Anblick er doch bot. Er schlief so viel, wie ihm das fortgesetzte Bombardement erlaubte. Er half Le Mas bei der Entscheidung, wo man am besten die Geschütze aufstellen sollte, und achtete sorgsam darauf, daß er sich nicht in die Verteidigung gegen die kleineren, aber bösartigen Angriffe einmischte, mit denen die Türken sie immer noch plagten. Orlandu war bedacht, niemandem lästig zu fallen, er heftete sich Tannhäuser aber an die Fersen wie ein Schatten und kümmerte sich um dessen Bedürfnisse, so gut er konnte.
Tannhäuser sah keinen Grund, den Jungen dadurch zu verwirren, daß er ihm erklärte, warum er sich für ihn interessierte. Wer wußte schon, welche Wirkung eine derart schockierende Neuigkeit auf Orlandu haben würde? Die Zuneigung, die er gleich bei der ersten Begegnung zu dem Jungen verspürt hatte, vertiefte sich. Mit der richtigen Erziehung würde aus ihm ein feiner Schurke und Abenteurer werden. Zweifellos aber würde Carla wünschen, daß er das Quadrivium studierte. Tannhäuser fiel ein, daß er als künftiger Stiefvater des Jungen in solchen Angelegenheiten auch ein Wort mitzusprechen
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