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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Wunde im Gesicht sorgte dafür, daß Bors kaum zu verstehen war.
    »Nein, du hast nur eine Trophäe errungen, mit der du die nächsten zwanzig Jahre angeben kannst.« Tannhäuser zerrte Bors die blutigen Stahlhandschuhe von den Händen. »Kannst du stehen? Nimm meine Hände.«
    Bors spuckte aus und zog sich in die Höhe. »Halt still!« gebot ihm Tannhäuser und wischte ihm das Blut aus den Augen. »Hier.« Tannhäuser nahm Bors bei der Rechten und führte ihm die Hand so, daß er sie auf seine breite Gesichtswunde drücken konnte. Dann warf er sich den abgeschnittenen Küraß an den verbliebenen Riemen über die Schulter.
    »Halt mich am Arm«, sagte er.
    »Hältst du mich für ein Weib?«
    Bors sammelte trotzig seinen Zweihänder wieder ein und benutzte ihn als Krückstock. Gemeinsam stiegen sie den Wall hinauf. Bors blieb stehen und blinzelte mit dem einen Auge, mit dem er noch etwas erkennen konnte. »Heiliges Kreuz!« flüsterte er.
    Zwanzig Schritte entfernt hockte eine schmale Gestalt, die einen viel zu großen Küraß trug. In ihren dünnen Fingern hielt sie etwas, das im Licht des Morgens glitzerte, vielleicht eine Brosche oder einen mit Juwelen besetzten Dolch. Ein wölfischer Instinkt ließ die Gestalt den Kopf heben. Weiße Zähne blitzen in ihrem schmutzigen Gesicht auf. Dann hob sie eine Hand zum Gruß.
    »Ja, wahrhaftig«, sagte Bors, »meiner Seel’, das ist Orlandu di Birgu.«
    Der Junge rannte auf ihr Rufen zu ihnen, hielt nur einmal kurz inne, um Tannhäusers Streitkolben aufzuheben. Der Junge hatteihn also beobachtet. Es war ein seltsames Gefühl. Orlandu blieb vor ihnen stehen, stolz wie ein Gockel, daß ihn zwei solche Giganten des Schlachtfeldes gerufen hatten. So verdreckt und mager der Junge auch war, überstrahlte der Glanz der Jugend doch seine Züge. Seine Augen waren tief dunkelbraun. Ein hübscher Bursche, wie er da stand, durchaus auch zu einer niederen List fähig, wie man leicht ahnen konnte. Tannhäuser bildete sich ein, eine vage Ähnlichkeit mit Carla zu erkennen.
    »Du bist also Orlandu Boccanera«, sagte Tannhäuser.
    »Orlandu di Birgu, mein Herr«, berichtigte ihn der Junge keck. »Und Ihr seid der tapfere Hauptmann Tannhäuser.«
    Tannhäuser erwiderte: »Du hast mich in einen schönen Tanz geführt.«
    Der Junge machte ein Gesicht, als hätte man ihn einer Missetat angeklagt. Der glitzernde Gegenstand, den er kurz zuvor in den Händen gehalten hatte, war nirgends mehr zu sehen.
    »Was hast du den Toten gestohlen?« fragte Tannhäuser.
    Er beobachtete, wie Orlandu überlegte, ob er eine Lüge erzählen sollte. Tannhäuser streckte die Hand aus. Der Arm des Jungen machte eine winzige Bewegung, und schon lag ein Dolch auf seiner Handfläche. Überaus geschickt hatte er die Waffe verschwinden lassen! Er reichte ihn Tannhäuser mit trauriger Miene. Die Scheide war aus moosgrünem Leder, mit einer silbernen Spitze und silbernen Verzierungen. Tannhäuser zog den Dolch heraus. In den Griff war ein Smaragd eingearbeitet.
    »Dies ist ein Hancher «, erklärte er. »Gehörte zur Ausrüstung eines Corbacy , mindestens. Ein türkischer Ritter hat diesen Dolch getragen. Wenn du einen Bart hättest, könntest du dich damit rasieren.« Orlandu zuckte die Achseln, wild entschlossen, keine Regung zu zeigen. »Dem Löwen gehört, was immer seine Hand ergreift«, zitierte Tannhäuser. Er gab dem Jungen den Dolch zurück. »Paß bloß auf, daß die Spanier diese Kostbarkeit nicht zu sehen kriegen.«
    Der Dolch verschwand so schnell, wie er aufgetaucht war. Tannhäuser lächelte.
    »Komm«, sagte er. »Bors braucht einen Chirurgen, der sein Gesicht zusammenflickt. Ich möchte nicht, daß er Schlange stehen muß.«
    »Soll ich Euch dienen, mein Herr?« fragte Orlandu.
    Tannhäuser lachte. Die Müdigkeit, die ihn befallen hatte, begann zu schwinden. Ein glücklicher Zufall hatte ihn ausgerechnet auf dem Schlachtfeld zu dem Jungen geführt. Sie lebten alle noch, und auf der anderen Seite der Bucht und jenseits des Kalkara-Tores wartete in Zontra das Boot auf sie. Endlich hatte sich das Blatt gewendet.
    »Ob du mir dienen sollst?« fragte Tannhäuser. Er nahm Bors’ Rüstung vom Rücken und ließ sie auf Orlandus dünne Arme fallen. »Warum nicht? Das wäre eine nette Abwechslung.«

F REITAG , 15. J UNI 1565
In St. Elmo – Auf dem Außenwerk – Im Solar – Am Kai
    Als Tannhäuser Bors schließlich in die Kapelle brachte, wurden bereits amputierte Gliedmaßen auf dem Festungshof verbrannt. Die

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