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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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haben würde, und er beschloß, Orlandu nicht zur Sünde zu ermutigen, sondern ihm, wo immer möglich, mit gutem Beispiel voranzugehen. In der Zwischenzeit vergnügte er sich damit, den Jungen im Umgang mit Feuerwaffen zu unterweisen.
    Bei Sonnenuntergang am dritten Tag kletterte ein Gesandter des Paschas, nervös wie ein unerfahrener Schauspieler, auf den Ravelinvor dem Außenwerk und bat um eine Unterredung. Auf Bitte des Gouverneurs Luigi Broglia nahm Tannhäuser als Übersetzer für die Befehlshaber an diesem Gespräch teil.
    Tannhäuser und der Gesandte der Türken schrien einander über zwanzig Schritt Entfernung ihre Erklärungen zu. Mustafa bot Bedingungen für eine friedliche Kapitulation der Festung an. Dieser Vorschlag stärkte die Moral der Ritter beträchtlich.
    Broglia, ein knorriger Piemontese um die Siebzig, dem seine verschiedenen Wunden nichts auszumachen schienen, lächelte mißmutig. »Mustafas Hintern muß brennen«, sagte er. »Was für Bedingungen bietet er an?«
    »Mustafa schwört bei seinem Bart«, übersetzte Tannhäuser, »und bei den Gräbern seiner heiligen Ahnen und beim Barte des Propheten, gesegnet sei Sein Name, daß er allen, die heute nacht die Garnison verlassen wollen, freies Geleit garantiert.«
    Le Mas deutete auf die Leichen vor der Festung. »Sagt ihm – bei den Bärten seiner Frauen –, daß wir noch Gräber in ausreichenden Mengen für ihn und all seine Nachkommen bereithalten.«
    »Sicheres Geleit wohin?« fragte Broglia.
    Tannhäuser fragte den Gesandten. Er selbst hätte das Angebot ohne Zögern angenommen.
    »Nach Mdina«, berichtete er. »Kein Mann, der sich zurückzieht, wird belästigt werden.«
    »Kann man ihm trauen?« erkundigte sich Broglia.
    Tannhäusers Herz schlug hoffnungsvoll. »Der Gesandte des Paschas würde niemals öffentlich und vor seinen eigenen Truppen einen Meineid schwören. Auf Rhodos hat Mustafa doch Wort gehalten, nicht wahr?«
    Broglia war neben La Valette einer der wenigen, die beim Kampf um Rhodos dabeigewesen waren. Er schnitt eine Grimasse, als könnte er die Erinnerung an diese Kapitulation immer noch sauer auf der Zunge schmecken.
    »Sagt Mustafa, daß wir entschlossen sind, da zu sterben, wo wir stehen.«
    Tannhäuser wandte sich ab, um diese Antwort, die ihm selbstnicht behagte, zu übermitteln, doch Broglia hielt ihn mit einer Handbewegung auf. »Besser, laßt seinen Gesandten sterben, wo er steht.« Er deutete auf das deutsche Radschloßgewehr, das Tannhäuser in der Armbeuge trug. »Erschießt ihn!«
    Tannhäuser blinzelte. Mehr Zeit brauchte er nicht, um zu entscheiden, daß er keinen Widerspruch vorbringen durfte. Er legte das Gewehr an. Der Gesandte, der sich der Gefahr durchaus bewußt gewesen war, registrierte die Bewegung und wandte sich ab, um sich von seinem erhöhten Posten zurückzuziehen. Wäre ein Luntenschloßgewehr auf ihn gerichtet gewesen, so wäre ihm das gelungen, aber das Radschloß zündete das Pulver sofort, sobald der Abzug betätigt wurde. Eine Bleikugel durchbohrte den unglückseligen Emissär und schleuderte ihn jenseits des Ravelins die Böschung hinunter. Le Mas lachte auf, und während ein wildes, aber unentschiedenes Musketenduell die Verhandlung beendete, zog sich Tannhäuser ins Torhaus zurück. Ehe er sich verabschieden konnte, um Orlandu zu holen und rasch zum Kai zu gehen, war er noch zu einem Kriegsrat im Solar geladen.
    Sogar der Solar, die große Kammer im innersten Bezirk der Festung, zeigte Spuren von Kanonenbeschuß. Das Gewölbe wies Risse auf, einige Kragsteine wurden nur noch von Keilen gehalten, die man notdürftig eingebracht hatte. Herabgestürzter Putz lag überall auf dem Boden, Staub tanzte im Licht der Kerzen und Lampen. Stromboli hatte trotz aller Widrigkeiten ordentlich aufgetischt. Tannhäuser tat sich an einem der Schafe gütlich, die mit ihm über den Großen Hafen gekommen waren. Er speiste mit Broglia, Le Mas, De Medran, Miranda, Aiguabella, Lanfreducci und Juan de Guaras. Sie saßen um einen Eichentisch herum, aßen und redeten, trugen aber immer noch ihre blutbefleckten Rüstungen. Es ging in ihrer Unterredung darum, wie sie am besten ihre Gegenwehr aufrechterhalten konnten, um den Türken größtmöglichen Schaden zuzufügen. Obwohl die meisten bei Tisch verletzt und geschwächt waren, weckte dieses Gespräch über den Kampf ihre Lebensgeister wieder. Sie waren unerschütterlichdavon überzeugt, daß Gottes Plan und ihr Plan ein und derselbe waren. Es herrschte eine

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