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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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man bedenkt, wie hoffnungslos wir an Kanonen unterlegen waren. Wir haben Euren Heiden einen guten Kampf geboten. Wenn Ihr bei Verstand wäret, würdet Ihr morgen Eure Sachen packen und verschwinden.«
    Obwohl sie es beide wußten, sprach es keiner aus: Mustafakonnte den Verlust von siebentausend Mann sehr viel besser verschmerzen als der Orden seine fünfzehnhundert.
    »Verstand ist auf dieser Insel im allgemeinen nicht in großen Mengen vorhanden«, meinte Tannhäuser. »Ich sollte Euch sagen, daß ich vorhabe, mich dem Feind als einer Eurer türkischen Kriegsgefangenen anzuschließen.«
    Le Mas schaute ihn an, trank einen Schluck Branntwein und blickte wieder zu ihm hin.
    »Wenn man bedenkt, daß Ihr ein Deutscher seid«, sagte er schließlich, »dann seid Ihr der schlauste Kerl, den ich je gekannt habe. Wenn Ihr ein Franzose wärt, dann könntet Ihr es mit La Valette selbst aufnehmen.«
    »Dann habe ich Euren Segen?«
    »Glückliche Reise«, sagte Le Mas und reichte ihm die Flasche.
    »Sagt mir«, fuhr Tannhäuser fort, »wie viele türkischen Sklaven haben wir noch?«
    Le Mas antwortete: »Ich denke, kaum mehr als ein Dutzend. Warum?«
    Tannhäuser nahm einen Schluck. »Wenn sie befreit werden, dann höhlen sie innerhalb eines Monats die Mauern von Birgu aus. Kämpfen vielleicht sogar mit dem türkischen Heer.«
    »Sehr wahr«, stimmte Le Mas ihm zu. »Und es wäre auch schade, nicht wahr, wenn einer von diesen Schweinehunden Euren Plan verraten könnte?« Er blickte Tannhäuser an.
    »Es wäre eine Katastrophe«, pflichtete ihm Tannhäuser bei.
    Le Mas warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Gott vergebe mir, aber ich liebe Männer, die im Krieg keinerlei Skrupel zeigen. Denn wie könnte man schließlich ohne sie überhaupt einen Krieg führen?« Er nahm wieder die Flasche auf und stöhnte leise über die Schmerzen, die ihm jede Bewegung bereitete. »Seid beruhigt. Ich werde sie alle nach dem Frühstück hinrichten lassen.«
    Tannhäuser lächelte dankbar. Dann zeigte er Le Mas zwei seiner golden geäderten Opiumkugeln und erklärte ihm ihre heilenden Eigenschaften. Sie spülten beide mit einem Schluck Branntweinherunter und beobachteten die Sternbilder der Nacht. Der Große Bär spannte sich über den Norden. Im Süden strahlte hell der Skorpion. Ein vollkommener Halbmond war im Wassermann aufgegangen. Tannhäuser sah dies als ein gutes Omen an.
    Überall auf dem Festungshof hatte sich der Rest der Garnison zum Schlaf niedergelegt. Jeder Mann bedachte, daß dies sehr wohl seine letzte Nacht auf Erden sein könnte. Allmählich verlosch das Knistern des Feuers, und eine Stille umfing die beiden Krieger, in der sie sich für die beiden letzten lebenden Menschen der Welt hätten halten können. Le Mas sang einen der Psalmen Davids, dann übten der Branntwein und das Opium ihren Zauber aus, und er schlief ein. Tannhäuser saß nun allein in die Dunkelheit gehüllt da, blickte auf das Firmament und verfiel angesichts der Sterne in eine glückselige Trance.

S AMSTAG , 23. J UNI 1565
Der Fall von St. Elmo
    Tannhäuser schätzte sich glücklich, daß er sich in der Nacht zuvor den Trost des Opiums gegönnt hatte. Die Wirkung hatte noch nicht ganz nachgelassen und ließ ihm beinahe möglich erscheinen, daß er die Ruhe bewahren könnte. Die Türken verzichteten nun auf ihren üblichen Beschuß. Die Schlangenmäuler der Belagerungskanonen auf den Berghöhen blieben stumm. Die letzte Schlacht um St. Elmo sollte mit kaltem Stahl Mann gegen Mann ausgetragen werden.
    An die vierzig Ritter der italienischen Zunge und drei der französischen Zunge, etwa hundert spanische Tercios und zweihundert unerschrockene Malteser hatten sich in der südlichen Bresche zu einem Karree aufgestellt. Juan de Guaras und Hauptmann de Miranda, die beide zu schwer verletzt waren, um noch stehen zu können, nahmen die Stühle ein, von denen man Tannhäuserund Le Mas aufgeschreckt und auf denen man die beiden nun festgeschnallt hatte. Die Stühle wurden mit den zwei Schwerverwundeten auf die Höhe des Walles geschafft, und da saßen die beiden, die Schwerter über den Schoß gelegt, und beobachteten das türkische Heer auf den Hängen oben. Dort warteten Janitscharen, Derwische, Iayalaren , Spahis und Azebs auf den Ruf ihrer Imame und den Schall der Trompeten.
    Da die Ehre auf diesem Schlachtfeld schon längst nichts mehr zu suchen hatte, mußte ein wilder und uralter Stolz den letzten Angriff der Türken geleitet haben, denn sie ließen die

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