Das Sakrament
getrocknetes Rindfleisch. Tannhäuser saß auf einer riesigen Kanonenkugel und schaute zu, wie die Türken ihre Wut an den wenigen christlichen Verteidigern ausließen, die noch am Leben waren.
Neun Ritter hatte man lebendig gefangengenommen, unter ihnen Quercy und Lanfreducci. Man zwang sie, sich splitternackt auszuziehen und auf dem Festungshof niederzuknien. Sie sangen Psalmen Davids, bis Trompeten und Trommeln die Ankunft Mustafa Paschas ankündigten. Der Befehlshaber durchquerte den Graben auf einem Apfelschimmel und schenkte ihnen nur einen kurzen Blick, ehe er den Befehl gab, sie alle zu enthaupten. Eine Stimme nach der anderen verstummte, bis nur noch Lanfreducci sang. Dann surrte das Schwert des Henkers, und auch sein Körper zuckte nach vorne in die scharlachrote Lache, die den Hof befleckte. Die Verwundeten, die vor dem Hospital lagen, wurdenan Ort und Stelle mit dem Speer getötet. Die Kapläne zerrte man aus der Kapelle und machte sie auf der blutgetränkten Schwelle nieder.
Man sammelte die Köpfe der Ritter ein und spießte sie auf die Palisaden der dem Meer zugewandten Mauern, wo man sie von St. Angelo aus sehen konnte. Das Banner Johannes’ des Täufers wurde eingeholt und an seiner Stelle die Standarte des Sultans gehißt. Der Kampf war vorüber.
Trotz der Hitze des Tages zitterte Tannhäuser und zog sich den Umhang fester um die Schultern. Er war nun sicher, daß der Schüttelfrost sich in seinem Körper ausbreitete. Seine Wunde war ein brennend rotes Krebsgeschwür, das sich unter seiner Haut eingeschlichen hatte. Sein Blut war vergiftet. Ihm schoß der Gedanke durch den Kopf, daß er einen glorreichen Tod aufgegeben hatte, um hier auf einem besudelten Strohsack dahinzusiechen und am Wundfieber zu krepieren. Er klaubte die letzte Opiumpille aus dem Stiefel und spülte sie mit lauwarmem Wasser herunter. Er überließ sich seinem Schicksal. Dann ritt das Schicksal durch die Tore von St. Elmo ein, um ihn zu begrüßen.
»Ibrahim?«
Tannhäuser schaute von seiner Kanonenkugel auf, und bei dieser Bewegung begann sich der Himmel ringsum zu drehen. Die Sonne war über die Mauer aufgestiegen und blendete ihn. Schweiß strömte ihm brennend in die Augen. Er drängte mit aller Gewalt die plötzliche Schwärze zurück, die in seinem Schädel lauerte, und wischte sich über das Gesicht. Er hob die Hand, um seine Augen zu beschirmen, zwinkerte und sah eine Gruppe von Reitern und das gelbe Banner der Sari Bayrak , der ältesten Einheit in der Kavallerie des Sultans. Er erhob sich, schwankte und setzte sich wieder. Eine Silhouette stieg vom Pferd, und ein Gesicht beugte sich über ihn, ein Gesicht, das fein und streng war und von den Jahrzehnten gezeichnet, die vergangen waren, seit er es zum letzten Mal gesehen hatte. Doch die Augen waren noch immer klug und voller Mitleid. Eine Hand streckte sich ihm entgegen und strich Tannhäuser das Haar aus dem Gesicht.
»Du bist es wirklich«, sagte Abbas bin Murad.
»Vater«, murmelte Tannhäuser.
Er versuchte erneut aufzustehen und sackte zu Boden. Abbas’ Arme fingen ihn auf. Er hörte, wie Abbas Befehle gab. Er versuchte zu sprechen, aber es gelang ihm nicht. Starke Hände hoben ihn in den Sattel. Er klammerte sich mit den Oberschenkeln fest, drehte den Kopf, um Abbas zu suchen. Statt Abbas sah er etwas anderes, ganz verschwommen, wie in einem Traum. Er sah einen Trupp von Algeriern aus der Ausfallpforte zum Kai gehen. Einer von ihnen hielt ein Seil in der Hand, das um Orlandus Hals geknüpft war. Tannhäuser starrte auf den Jungen, deutete dann auf ihn und wandte den Kopf, damit er seinen Retter sehen konnte.
Abbas erschien auf seinem Pferd neben ihm, streckte eine Hand aus, um ihn bei der Schulter zu packen und im Sattel zu halten. »Du bist krank«, sagte er mit ernster Miene. »Du kommst mit.«
»Der Junge«, keuchte Tannhäuser. »Da.«
Abbas überhörte diese Fieberphantasien und gebot zweien seiner Männer, Tannhäuser zu seinem Zelt zu geleiten. Tannhäuser drehte sich im Sattel um. Entgegen aller Hoffnung war Orlandu weder ein Fiebertraum noch eine Opiumphantasie. Der Junge stand mit blutunterlaufenen Augen da und wurde von den Korsaren wie ein Hund an der Leine abgeführt. Wieder deutete Tannhäuser auf ihn und fiel dabei beinahe aus dem Sattel. Abbas packte ihn beim Arm. Tannhäuser suchte verzweifelt in seinen Fiebernebeln nach einem Plan, der vielleicht funktionieren könnte. Es fiel ihm nichts ein. Der Nebel verdichtete sich, alles
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