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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Kanonenfeuer. Ab und an verzog sich der Rauch, und man konnte die Sturmleitern sehen, die an den Mauern lehnten, und die bunten Horden der Moslems, die darüberschwärmten, sowie die brennenden Flüssigkeiten, die auf sie herabgeschüttet wurden, und das helle Glänzen der Rüstungen entlang der Wälle. Manchmal schien der Kampf völlig lautlos zu toben. Dann wieder drang wahnsinniger Lärm über die Bucht zu ihnen herüber. Über diesem Inferno wehte noch das Banner Johannes des Täufers – zerfetzt, aber unbesiegt.
    Die Türken waren sich sicher gewesen, daß es kaum mehr als eine Woche dauern würde, bis sie diese Festung eingenommen hätten. Selbst La Valette hatte nicht erwartet, daß seine prahlerische Aussage von drei Wochen sich bewahrheiten würde.
    Starkey schaute zum Großmeister. Der alte Mann blieb weiterhin unermüdlich, obwohl Starkey selbst sich schon kaum noch auf den Beinen halten konnte. Jede Nacht opferte La Valette eine Stunde Schlaf, um zu Unserer Lieben Frau von Philermo zu beten. Sein Arbeitspensum war ungeheuerlich. Er hatte die Entwürfe und den Bau der neuen inneren Mauer beinahe Stein für Stein persönlich überwacht. Er hatte die Vorräte an Lebensmitteln und Wein in den Gewölben unter der Stadt erneut überprüfen lassen. Dann hatte er seine Berechnungen wiederholt und noch einmal wiederholt und auf der Grundlage der Ergebnisse die Rationen für die Sklavenbataillone verdoppelt, denen er nun weiterezwei Stunden harte Arbeit abpreßte. Er hatte angeordnet, daß auf L’Isla Massengräber angelegt wurden, hatte sie mit Weidengeflecht abdecken lassen, um die Bevölkerung nicht zu verstören. Er machte täglich Rundgänge zu verschiedenen Zeiten, um das Hospital, die Bastionen der einzelnen Zungen, die Geschützbatterien, die Märkte und die Arsenale zu inspizieren. Mit seinem Charisma gab er überall, wo er hinkam, den Menschen die Kraft zum Durchhalten. Seine fromme Haltung stützte und vermehrte auch ihren Glauben, denn er war der Mensch gewordene Verteidiger des Glaubens. In seinem wettergegerbten Gesicht, das immer mehr aussah, als sei es in Bronze gegossen, entdeckte man keinerlei Selbstzweifel, auch kein Mitleid. Die tägliche Hinrichtung eines moslemischen Kriegsgefangenen erinnerte die Menschen daran, daß sie, sosehr sie auch die Türken fürchteten, den Großmeister noch mehr fürchten sollten.
    Während er zusah, wie seine Brüder jenseits des Wassers starben, schien La Valette so heiter und gelassen wie ein Ebenbild des Hieronymus. Er wußte, daß auch das Drama von St. Elmo nur das Vorspiel für den größeren Kampf war, der noch auf sie wartete – um L’Isla und Birgu. Starkey war über La Valettes Fassung verstört. Sie schien beinahe unmenschlich.
    Starkey sagte: »Die griechischen Dichter haben ihre Helden mit dem Wort Ekpyrosis bezeichnet. Achilles, Diomedes, Ajax. Es bedeutet: vom Feuer verzehrt.«
    »Noch sind unsere Helden nicht vom Feuer verzehrt«, erwiderte La Valette. »Hört nur!«
    Türkische Trompeten dröhnten vom Monte Sciberras herunter, dann ertönten von den schwer mitgenommenen Mauern jenseits des Wassers rauhe Jubelschreie. Starkey konnte es kaum glauben.
    »War das ein Hurra?« fragte er.
    Wieder erklang Jubel von den rauchenden Mauern. Die Stimmen der todgeweihten Ritter durchdrangen die Herzen aller, die hier auf dem luftigen Mauergang von St. Angelo standen. Einige brachen in Tränen aus und schämten sich nicht darüber. Als die Türken sich den Berghang hinauf zurückzogen, wandte sich LaValette zu Starkey um. Der Engländer begriff, daß er dem Großmeister unrecht getan hatte. Auch die Augen des alten Mannes waren voller Tränen.
    Um seinen letzten Plan auszuführen, vergrub Tannhäuser die restlichen fünf Pfund Opium zusammen mit seinem russischen Goldring unter einem Stein auf dem Boden der Schmiede. Er verwischte alle Spuren mit Asche und Stroh. In einem weniger sicheren Versteck im zersplitterten Gewölbe des Hauptturms hatte er zuvor Radschloßgewehr samt Schlüssel, Pulver und Kugeln verstaut. Danach nahm er die letzte Flasche Branntwein aus dem Rucksack und ging auf den Festungshof hinaus. Er hielt sich die Wunde in seiner Hüfte. Das türkische Blei steckte noch in ihm, aber da Hunderte von schrecklich verwundeten Soldaten auf den Steinen vor der Kapelle lagerten, dachte er, er sollte die Chirurgen besser nicht reizen. In jedem Fall würde sich die unbehandelte Wunde für seine Flucht ausnutzen lassen.
    Mitten auf dem freien Gelände

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