Das Sakrament
durch die Ausfallpforte, die steile, in den Felsen gehauene Treppe hinunter zum Kai. Er küßte sie, schaute sie an und wollte sie nicht gehen lassen, aber sie mußte aufbrechen, ehedie Morgendämmerung und die türkischen Kanonen ihre Reise zu gefährlich machten. Er setzte sie auf der Mauerkrone ab.
»Ich wache über dich«, sagte Amparo. »Wußtest du das?«
Er antwortete: »Ein-, zweimal habe ich deinen Atem an meiner Wange gespürt.«
Sie streichelte ihm Wangen, Bart und Lippen. Ihre Augen waren feucht und dunkel.
Sie sagte: »Ich liebe dich.«
Es schnürte ihm den Hals zu. Er antwortete nicht, ohne zu wissen, warum. Amparo zog sich den Waffenrock von der Schulter und ließ ihn am Kai fallen. Einen Augenblick lang stand sie da vor ihm, nackt und blaß wie Elfenbein. Er küßte sie noch einmal und ließ sie los. Dann wandte sie sich um, sprang ins Wasser und schwamm, von der Gischt umspült, fort.
Aus der Kapelle hörte man Gesang und vom Berg den Ruf des Muezzins. Im Osten verblaßte über dem San Salvatore das tiefe Nachtblau. Die Welt drehte sich weiter, aber Tannhäuser blieb stehen. Er stand da und starrte über die Bucht, bis das letzte Dunkel der Nacht Amparo schon längst verschlungen hatte.
F REITAG , 22. J UNI 1565
In St. Elmo – In St. Angelo – Im Festungshof
Mit dem ersten Morgenlicht begann das Spektakel des Tötens und Betens wieder und tobte noch einen weiteren glühendheißen Tag lang. Mitten im Kampf brachen Krieger zusammen, weil sie in der Hitze keine Luft mehr bekamen. Sie wälzten sich in Krämpfen und starben. Hätte der Teufel zugesehen, hätte er sich ins Fäustchen gelacht, denn selbst in seinem höllischen Reich konnte es keinen dämonischeren Anblick geben.
Tannhäuser sehnte die letzte Stunde der Festung herbei, dochjedesmal wenn die Verteidigungslinie schwankte oder durchbrochen wurde und der wahnwitzige Sturm der Türken sie zu überwältigen drohte, spornte irgendein Wahnsinniger – Lanfreducci, De Guaras und immer wieder Le Mas – sie zu neuem Mut an, und in ihrem Wahn zu kämpfen trieben die Christen die Eindringlinge wieder in den Graben zurück.
Tannhäuser schoß vom Mauergang aus, verfluchte Gott, verfluchte den störrischen Jungen zu seinen Füßen. Er kämpfte gegen seine eigenen wahnsinnigen Gedanken an, wenn ihn der Drang plagte, sich ins Handgemenge zu stürzen, und die Vernunft selbst wahnsinnig erschien, der Tod dagegen als die einzige Logik, der man zu gehorchen hatte. Die heilige Musik des Selbstopfers klang in seinen Ohren, mit all ihren Versprechen von ewigem Ruhm und einer raschen Erlösung von allen Schmerzen. Er hatte aber diese Musik schon früher vernommen und wußte, daß ihre Melodie trügerisch war und in ihr die Schreie der Sterbenden mitschwangen.
»Halt den Kopf unten, Junge«, brüllte er.
Er packte Orlandu und zerrte ihn in die Deckung. »Wir überleben diesen Tag, hörst du mich?«
Orlandu nickte. Tannhäuser hockte vor ihm und hatte das Gewehr schräg über den Oberschenkel gelegt. Ein harter Schlag traf ihn an der Seite, wirbelte ihn herum und hätte ihn beinahe vom Mauergang geworfen. Er schwankte über einem Abgrund von vierzig Fuß über scharfkantigem Geröll. Orlandu packte ihn am Arm und riß ihn zurück, und Tannhäuser richtete sich auf und schob sich hinter den Schutz der Zinne.
Sein Riffelharnisch hatte zahlreiche Treffer abbekommen, sein Helm sogar ein paar mehr. Eine Kugel hatte ihn unter dem Rand der Platte am linken Hüftknochen getroffen. Tannhäuser konnte das harte Blei unter der Haut ertasten. Die Kugel war nicht tief eingedrungen und würde ihn nicht auf der Stelle umbringen. Wundfäule jedoch konnte einen zwar langsamen, aber genauso sicheren Tod bedeuten. Aus seinem Beutel nahm er einen feuchten Lappen, in den er Kügelchen aus Kampfer und Fieberkraut eingeschlagen hatte. Er kaute eines kurz durch und preßte es dann indas Einschußloch. Die Blutung hörte auf. Eigentlich fühlte er sich nicht allzu schlecht. Orlandu starrte ihn immer noch angstvoll an. Tannhäuser brachte ein Lächeln zustande.
»Jetzt hast du mir schon zweimal das Leben gerettet, Junge. Nun hol mir Wasser! Ich bin völlig ausgetrocknet.«
Vom Dach des Kastells St. Angelo aus beobachteten Oliver Starkey und La Valette, wie die Sonne hinter einem Schleier aus scharlachrotem Dunst versank. Viele der älteren Ritter standen bei ihnen und flüsterten Vaterunser. Drüben auf der Landzunge lag St. Elmo inmitten eines blitzenden Kreises aus
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