Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
Vom Netzwerk:
unbemannten Wälle außer acht, die sie mit Leichtigkeit hätten erklimmen können, desgleichen das verlassene Torhaus und die zahlreichen kleineren Breschen, durch die sie nun ungehindert in die Festung hätten eindringen können. Statt dessen strömte das gesamte Heer mit einer ohrenbetäubenden Anrufung der Größe Allahs den Hang hinunter. Ihr einziges Ziel war die blutige Gasse, auf der so viele ihrer Kameraden gefallen waren – und wo die Christenteufel ihre Kirchenlieder sangen und sie mit Hohn und Spott begrüßten. Der Unterschied in der Truppenstärke war beinahe schon lächerlich, und doch wollten die Verteidiger nicht untergehen, ohne zuvor ihren Stachel noch einen letzten Zoll in Mustafas Seite zu stoßen. Zu Tannhäusers Überraschung, der das nun entfesselte Blutbad von einem Ausguck im Burgfried betrachtete, behauptete sich der Orden noch über eine Stunde.
    Schwert und Dolch, Halbpike und Streitkolben. Brüllende Wut und Schmerzenschreie. Gebete aus tiefstem Herzen. Luigi Broglia, Lanfreducci, Guillaume de Quercy, Aiguabella, Vigneron, alle waren mit dem Blut des wilden Kampfes getränkt, der um die beiden Stühle tobte. Tannhäuser sah, wie Le Mas’ Hellebarde strahlende Bögen in das frühe Morgenlicht schnitt. Hätte nicht der Mohnsamen in seinen Eingeweiden ihm eine betäubende Ruhe geschenkt, hätte er es nur schwer ausgehalten, sich nicht zu Le Mas zu gesellen. Der Wunsch schmerzte ihn in allen Knochen, aber die Würfel waren gefallen. An diesem Tag würde es für ihn keinen Ruhm und keine Ehre geben, nur Überleben oder schmählichen Tod.
    Er war nackt bis auf die Stiefel, die längst zerfetzt waren und die er bis auf sechs Zoll unter dem Knie abgeschnitten und mit Asche und Holzkohle eingerieben hatte. Den goldenen Armreif von Nicodemus, dessen Inschrift seiner nun spottete, den er aber nicht zurücklassen wollte, trug er um den Knöchel und hatte ihn mit Lumpen zugewickelt. Im anderen Stiefel hatte er den letzten seiner Steine der Unsterblichkeit verborgen. Seinen Oberkörper hatte er mit Staub und Dreck beschmiert. Obwohl ihm kein Spiegel zur Verfügung stand, war er sich sicher, daß er mit jedem Zoll wie ein heidnischer Sklave aussah. Le Mas, der dem Göttlichen näherstand, als er es je tun würde, hatte ihm das beim Abschied versichert.
    Tannhäuser brauchte nur noch ein weiteres Requisit, und als er das letzte Gefecht im Graben beobachtete, fand er es. Eine Gestalt in Halbrüstung kam über die Böschung getaumelt und landete krachend auf dem Geröll. Der Mann rollte mit dem Gesicht auf die Erde, zerrte sich den Helm vom Kopf, als ertränke er, hob sich dann auf alle viere und spuckte Blut. Er kroch ein paar Fuß weiter, zurück in Richtung Schlacht, sackte dann jedoch auf den Ellbogen zusammen. Er hob die Rechte zur Stirn, dann zur Brust und zur linken Schulter. Schließlich brach er zusammen, ohne sein Kreuzzeichen vollendet zu haben.
    Tannhäuser wandte sich zum Gehen. Plötzlich hörte er den schrillen Ruf der Kriegstrompeten und blickte sich um. Unter den blutrünstigen Jubelschreien der Christen zogen sich die Türken zurück – gewiß nur, um ihre Ränge noch einmal für den letzten Angriff zu schließen. Le Mas hatte die Bresche noch ein letztes Mal verteidigt. Kaum mehr als neunzig Mann standen noch in der Gasse. Die meisten Spanier und Malteser waren tot, die Ritter waren wegen ihrer besseren Rüstungen noch am Leben geblieben. Während sie sich in einer Phalanx um die Stühle von De Guaras und Miranda versammelten, um dort das Ende zu erwarten, lief Tannhäuser die Stufen hinunter auf den Festungshof.
    Er war mit Fieber aufgewacht, seine Beine trugen ihn kaum noch. Seine Wunde brannte wie glühende Kohle. Er taumelte zudem toten Ritter, der immer noch auf Knien lag, beugte sich zu ihm in den Staub und zerrte ihn an den Armen hoch. Der Kopf sackte zurück. Es war Agoustin Vigneron. Von einem Dolch in den Hals getroffen. Tannhäuser packte die Leiche und warf sie sich über die Schulter. Der Harnisch schabte ihm fast die Haut vom sonnenverbrannten Nacken. Er fand einen guten Stand für seinen Fuß und richtete sich mühsam auf. Er hörte das Dröhnen des Kampfes und den Lärm von Stahl auf Stahl ganz in der Nähe. Schon bald würde sich dieser Menschenstrom über die Wälle ergießen und die Festung überschwemmen. Tannhäuser taumelte über den Festungshof auf die Ställe zu.
    Er brach beinahe unter der Last der Leiche und der Rüstung zusammen. Seine Beine zitterten, sein

Weitere Kostenlose Bücher