Das Sakrament
Brustkorb hob und senkte sich keuchend, und Galle stieg ihm in den Hals. Nur die Furcht verlieh ihm die Kraft, sein Ziel zu erreichen. An der Stalltür ließ er die Leiche von der Schulter gleiten und sackte selbst auf dem Steinboden zusammen. Als er wieder atmen konnte, blickte er auf.
Im Stall lag ein Haufen nackter Leichen auf dem Stroh. Ein Dutzend unter Tausenden. Doch diese unbewaffneten und armseligen Kreaturen waren nur um seinetwillen ermordet worden. Es waren die letzten moslemischen Gefangenen. Tannhäuser wandte sich ab, schaute über den Hof und beobachtete, wie die hohen weißen Hauben der Janitscharen sich den Männern in den Rüstungen näherten. Die Stühle der tapferen Ritter wurden vom Wall gestürzt, und die Festung St. Elmo fiel.
Broglia, De Guaras, Miranda, Guillaume, Aiguabella – Männer, an deren Seite Tannhäuser gekämpft, mit denen er Branntwein getrunken hatte, die ihr Leben dem Krieg verschrieben hatten und nun von seiner Flut in die Ewigkeit gerissen wurden.
Tannhäuser blickte auf seine Brust herab. Blut tropfte ihm über den Rücken. Er schaute auf Vigneron, der zu seinen Füßen lag. Tannhäuser zog das Schwert des Toten aus der Scheide und ließ es in der Nähe fallen. Mit dem Dolch aus dem Gürtel des Ritters entfernte er den Umschlag von seiner Wunde und bohrte an denWundrändern, bis wieder Blut floß. Dann trieb er den Dolch in Vignerons Hals und warf sich in einer Geste des Kampfes über die Leiche.
Er schloß die Augen, die Hand noch am Dolchgriff, und eine Ohnmacht senkte sich über ihn. Mit ihr kamen die Bilder. Von Amparo und dem Jungen, von Carla und Bors, von Buraq, von Sabato Svi. Seine Gedanken wanderten, und er nahm sich mit aller Kraft wieder zusammen. Er schlug die Augen auf und erblickte das sonnengegerbte Gesicht von Agoustin Vigneron, den leblosen Schimmer der Augäpfel. Er lag hier auf dem Leichnam eines Kameraden, dessen Blut noch auf seiner Haut eintrocknete, in einem Beinhaus voller ermordeter Sklaven, und gab vor, etwas zu sein, was er nicht war. Und doch: Was war er alles nicht? Er hatte alles abgeworfen, auf das ein Mann seine Hoffnung setzen konnte, außer dem Leben selbst. Er gebot sich, türkisch zu denken. Von Alt Stambul zu träumen. In der Sprache des Propheten zu beten. Er rang röchelnd um Luft, und aus seiner ausgedörrten Kehle erklang seine rauhe Stimme so hohl, als käme sie aus der tiefsten Tiefe der Verzweiflung.
»Bei den heftig aufwirbelnden Winden der Zerstreuung, den lasttragenden Wolken, den leicht übers Meer dahinziehenden Schiffen und den Deinen Befehl ausführenden Engeln! Wahrlich, was euch angedroht wird, ist wahr. Und das Gericht wird ganz sicher eintreffen.«
Schritte drangen durch seine Fieberträume. Eine rauhe Hand packte ihn bei der Schulter. Tannhäuser rollte herum, den Dolch noch in der Hand. Mit letzter Kraft quälte er sich auf ein Knie, einen Fuß zum Sprung bereit.
Zwei Janitscharen, schmal und jung, standen über ihn gebeugt, die Krummschwerter erhoben, die Hitze des Sieges brodelte in ihren Adern. Doch bei seinem Anblick traten sie einen Schritt zurück, und der jüngere der beiden streckte die Hand aus und schob das Schwert seines Kumpanen zur Seite. Sie erblickten Vignerons Leiche und die aufgehäuften toten Moslems. Sie bemerkten das Geheiligte Rad des Vierten Aga Boluk, das in dunkelblauer Tinte auf Tannhäusers Arm tätowiert war. Sie sahen diezwei Klingen des Schwertes Zulfikar in roter Farbe. Sie sahen, daß er beschnitten war. Auf seinem Oberschenkel erkannten sie die Sure Al-Ichlas : Allah ist der Alleinige. Allahu-s-samad, der Einzige und Ewige. Er zeugt nicht und ist nicht gezeugt. Und kein Wesen ist Ihm gleich. Ein Gefühl der Kameradschaft erfüllte die Augen der Janitscharen.
»Friede sei mit dir, Bruder«, sagte der jüngere Mann.
»Nach dem Willen Allahs bist du endlich wieder unter Freunden.«
Plötzlich rissen sie ihre Schwerter erneut hoch, denn sie hatten hinter ihm ein Geräusch gehört. Tannhäuser wandte sich um. Aus dem Schatten tauchte der alte Stromboli auf. Er trug eine Axt in den Händen. Er sah Tannhäuser und erstarrte vor Staunen. Wie besessen sprang Tannhäuser auf und rammte Stromboli den Dolch ins Herz. Dann wandte er sich den jungen Kriegern zu. Sie schauten ihn respektvoll an.
Tannhäuser sagte: » Allahu akbar .« Dann sackte er auf dem Boden zusammen.
Sie hüllten ihn in einen blauen Seidenumhang, flößten ihm mit Honig gesüßten Tee ein und fütterten ihm
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