Das Sakrament
verschwamm ihm rot vor Augen. Er packte die Mähne seines Pferdes.
»Ich hatte Durst, und dieser Junge hat mir Wasser gegeben«, keuchte er schließlich.
Dann erlosch die Sonne, und alles wurde schwarz und leer.
A M F EST DES HEILIGEN J OHANNES DES T ÄUFERS
Im Kastell St. Angelo – In der Herberge von England
Oliver Starkey betete für La Valette und für seine eigene sündige Seele. Der Grund für dieses Gebet war der Haufen von abgeschlagenen Köpfen, der am Cavalier von St. Angelo aufgetürmt lag. Die weißen, blicklosen Augen der Toten wölbten sich trocken und matt in der Sonne hervor. Mit grausigen Scherzen packten die Kanoniere die abgetrennten Köpfe der Türken bei den Bärten und packten sie zu vier oder fünf in die Mündungsrohre ihrer Geschütze. Starkey fragte sich, was ihn dazu veranlaßt hatte, als Augenzeuge bei diesem Verbrechen zugegen zu sein. Doch vielleicht sollte zumindest einer anwesend sein, der es für ein Verbrechen hielt. Jesus hätte zweifellos auch geweint, wenn er Zeuge dieses grausigen Schauspiels geworden wäre.
In der Morgendämmerung waren vier Bretter an den Strand von L’Isla geschwemmt worden. Auf jedes der Bretter hatte man einen nackten und enthaupteten Ordensritter gekreuzigt. In das Fleisch jeder bleichen Brust hatte man ein grobes Kreuz gehackt. Trauer machte sich breit, aber auch ein giftiger Haß auf alle Türken. La Valette erhielt die Nachricht, während er aus der Morgenmesse kam. Als er die verstümmelten Leichen sah, traten ihm Tränen in die Augen. Er ignorierte Starkeys Ratschläge und befahl, alle Türken, die man seit dem Anfang der Belagerung gefangengenommen hatte, aus den Verliesen herzuschleppen und zu enthaupten.
»Alle?« fragte Starkey.
La Valette erwiderte: »Laßt das Volk sein Urteil sprechen.«
Die Gefangenen wurden zum Strand geschleppt, und dort schwangen die Henker mit teuflischer Energie ihre Schwerter durch Haar und Knochen. Gefesselte Türken, die Allah anriefen, wurden in die tiefsten Schlünde der Hölle verflucht, während man sie dahinschlachtete. Manche flohen mit klirrenden Ketten ins Meer und wurden in der Gischt enthauptet.
Als alle Schreie verstummt waren, warf man die Leichname ins Meer und sammelte die Köpfe an den bluttriefenden Haaren in Säcke.
Nun dröhnten die Geschütze hinter Starkey auf dem Cavalier von St. Angelo. Ein Hagel rauchender Schädel, einige mit lodernden Flammen in Bart und Haar, flog im hohen Bogen über die Bucht auf die türkischen Linien zu. Wenn Mustafa sich in Greueltaten versuchte, dann sollte er von den Meistern dieses Fachs eine Lektion erteilt bekommen. La Valette zeigte keine weitere Gefühlsregung. Während Starkey zusah, wie die Kanoniere ihre Geschütze säuberten, sagte er in lateinischer Sprache: »Et multi in nativitate eius gaudebunt. Und viele werden sich seiner Geburt freuen.«
La Valette schaute ihn an.
Starkey fügte hinzu. »So sprach der Erzengel Gabriel über Johannes den Täufer.«
La Valette erwiderte: »Viele werden sich des Todes jedes Moslems auf dieser Insel freuen.«
Dann begab sich La Valette mit seiner Gefolgschaft auf den Hauptplatz und verkündete der Menschenmenge, daß jeder türkische Gefangene von nun an – nachdem die Folterknechte ihr Werk vollendet hatten – ohne Pardon dem Volk übergeben würde, das sie nach seinem Gutdünken in Stücke reißen mochte. Starkey beobachtete, wie die Menge ihm zujubelte, seinen Namen rief und Gott pries. Dann wandte er sich ab. Durch diesen Appell an die scheußlichste Grausamkeit hatte La Valette eine Niederlage in eine Art Sieg verwandelt. Einen Sieg worüber – das mochte Starkey lieber nicht näher bedenken. Nur La Valette wußte, wie er ihnen überhaupt eine Chance zum Überleben verschaffen konnte. Starkey dankte seinem Schöpfer, daß er im allgemeinen Befehle empfing und nicht in der Haut des Anführers steckte.
Carla sah die Kanonade und hielt die Geschosse für Feuerkugeln. Als sie erfuhr, daß da Menschenköpfe geflogen waren, was sie inihrem bisherigen Leben unmöglich hätte glauben können, wurde ihr klar, daß sie zwar entsetzt, aber kaum überrascht war.
Der Krieg hatte ihre Welt bedeutend kleiner werden lassen, sie bestand nur noch aus der Fürsorge für andere Menschen. Ihr Leben war ihr indes nie sinnvoller erschienen. Von allen ihren kleinen Sorgen und Kümmernissen war sie befreit. Carla hatte endlich begriffen, daß das Leben ein kostbares Geschenk war und nicht etwas, das man eben aushalten
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