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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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mußte. Wut und Schrecken waren vergänglich, ebenso Sieg und Niederlage. In einer Welt voller Haß und Schmerz war sie fest entschlossen, weder das eine noch das andere in ihr Herz zu lassen. Dein Wille geschehe. Jesus war in ihrem Herzen, und Er liebte sie. Mehr brauchte sie nicht zu wissen.
    Sie sah das makabre Kanonenfeuer auf dem Weg vom Hospital zur Herberge. Pater Lazaro hatte ihr eine Pinzette und ein Skalpell geliehen, damit sie die Fäden aus Bors’ Wunde ziehen konnte. Sie traf Bors unterwegs. Er war auf die Straße gelaufen, als er von diesem Spektakel gehört hatte. Er war höchst zufrieden, daß es weitere Salven gab, und holte sogar einen Stuhl herbei, damit sie die Fäden ziehen konnte, ohne daß er befürchten mußte, die dritte Salve zu versäumen. Da das Licht ohnehin draußen sehr viel besser war und sie eine schwierige Arbeit verrichten mußte, hatte Carla nichts dagegen.
    Bors beteuerte, daß er seine Narbe für keinen Rubinring je wieder hergeben würde. Nachdem Carla einige Male erfolglos an einem Faden gezupft hatte, sagte Bors: »Zieht ruhig fester!« Als sie es tat und den Faden löste, zuckte er mit keiner Wimper.
    »Fünf maltesische Schwimmer sind gestern noch aus St. Elmo entkommen«, sagte er. »Sie haben die letzten Augenblicke mit angesehen. Ich habe mit dreien gesprochen«, fuhr Bors fort, der ein wenig betrübt war, daß Carla so wenig Neugier an den Tag legte, während sie weiter Fäden entfernte. »Niemand wußte etwas von Mattias oder Eurem Jungen. Es hat sie aber auch niemand sterben sehen.«
    »Dann besteht noch Hoffnung«, gab Carla zu. »Und wir müssen beten, daß sie alles überlebt haben.«
    »Wenn irgend jemand sich einen Weg aus diesem Blutbad ausdenken konnte, dann ist es Mattias. Der Kerl ist ein schlauer Fuchs. Dem Mädchen scheint sein Schicksal sehr nahezugehen«, sagte Bors.
    Carla nickte. In gewisser Weise war Amparo in den letzten Tagen wieder zu der wilden, verletzten Kreatur geworden, die Carla im Wald gefunden hatte – in sich zurückgezogen, launisch, für jeden Gott verloren. Carla hatte Pater Lazaro überredet, Amparo in seinem Heilkräutergarten arbeiten zu lassen. Sie hoffte, daß sie nun ihre Gefährtin auch dazu bringen konnte.
    »Wißt Ihr, daß sie ihn drüben besucht hat?« fragte Bors und zuckte zusammen.
    Blut strömte über seine Wange, weil Carla mit dem Messer ausgeglitten war. »Amparo ist in St. Elmo gewesen?«
    »Ja, sie ist in der Nacht über die Bucht geschwommen«, sagte Bors. »Ich muß zugeben, von all den wundersamen Ereignissen, die ich mit ansehen mußte, seit ich hierhergekommen bin, war dies das angenehmste.«
    Carla stellte sich vor, wie Amparo und Mattias sich liebten. Es drehte ihr den Magen um, trotz all ihrer hehren Absichten. Sie spürte, wie eine glühende Röte ihre Wangen überzog. Sie war also doch nicht so sehr voll der göttlichen Gnade, wie sie es sich gewünscht hätte.
    »Und Ihr habt sie nicht daran gehindert?«
    Der Engländer schaute sie an. Er war ein Mann, der sich nicht schämte, voller Freude brennende Köpfe durch die Luft fliegen zu sehen. Wenn man einem solchen Mann eine Frage stellte, mußte man mit der groben Wahrheit rechnen.
    Bors antwortete: »Ich verstehe, daß solche Neuigkeiten für Euch nur schwer zu ertragen sind, aber uns droht noch immer das Schicksal, daß wir alle miteinander auf diesem Felsen sterben. Wer wollte da so niederträchtig sein, sich einer so schönen Romanze in den Weg zu stellen?«
    »Ich habe mich ihr auch nicht in den Weg gestellt«, erwiderte Carla.
    Bors lächelte freundlich. »Und das gereicht Euch zur Ehre. Meiner bescheidenen Meinung nach ist Mattias ohnehin mächtig zwischen Euch beiden Schönen hin und her gezogen. Unter uns: Die Sache ist noch nicht ausgestanden.«
    In diesem Augenblick kehrten alle Ängste und Hoffnungen, die Carla aus ihren Gedanken verbannt zu haben glaubte, mit Macht zurück. Sie wollte nicht mit Amparo wetteifern, und sie würde es auch nicht tun. Sie wollte nur Mattias.
    »Glaubt Ihr wirklich, daß er noch am Leben ist?« fragte sie.
    »Wenn auch niemand dagegenhalten würde«, erwiderte Bors, »so würde ich doch Geld darauf wetten.«
    Wieder dröhnten die Kanonen von der Burg. Bors sprang auf, um die rauchenden Schädel vorbeifliegen zu sehen. Er schüttelte voller Bewunderung den Kopf, ließ sich dann wieder auf dem Stuhl nieder.
    »Allerdings«, fuhr er fort, »hat diese Medaille eine dunkle Seite. Wenn Mattias und Euer Junge noch am Leben

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