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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Verwundung vorzutäuschen, vielmehr mußte er sich große Mühe geben, nicht aus dem Sattel zu rutschen und ihnen zu Füßen zu sinken. Einer der Wachtposten nahm sein Pferd beim Zügel.
    »Die Höllenhunde sind hier«, keuchte Tannhäuser. »Die Christenhunde. Aus Sizilien. Tausende.«
    Er wedelte mit dem Arm ungefähr in die Richtung, aus der De Lugnys Reiterei kommen mußte, und sah den Ausdruck auf den Gesichtern der Wachtposten, als sie sich umwandten. Er spürte, wie der Boden bebte. Seine Stute wieherte nervös. Dann hörte er das Donnern eisenbeschlagener Hufe im vollen Angriff. Immer noch über den Hals seines Pferdes geneigt, wandte er sich um. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, krampfte sich sein Magen zusammen.
    Aus dem Blickwinkel eines Opfers hatte er noch nie den Angriff einer Reiterei erlebt. So mußte sich ein Hirsch fühlen, den die Meute des Jägers entdeckt hatte. De Lugnys Reiter preschten heran und fächerten dabei zu einer immer breiter werdenden roten Linie auf, bis es schien, als würde sie den ganzen Horizont umspannen. Tannhäuser blickte zu den Wachtposten. Sie standen vor Schreck erstarrt da. Er wählte sich den ängstlicheren von beiden aus.
    »Reite los und warne den Pascha!« sagte Tannhäuser. »Sonst ist das Heer verloren. Reite um dein Leben!«
    Dankbar für diese unerwartete Schonung, riß der Mann sein Pferd herum und gab ihm die Sporen. Seine Freude würde nicht lange währen, denn sobald man den Betrug bemerkte, würde Mustafa ihn zu Tode peitschen lassen.
    Dem anderen Mann sagte Tannhäuser: »Ruf die Truppen zusammen, damit sie die Lager beschützen!«
    Als sich auch der zweite Wachtposten davonmachte, um seine sinnlose Aufgabe zu erledigen, sah Tannhäuser sich um und begriff, daß er keine Chance hatte, die Linie zu umgehen, ehe sie ihn überrannte. Seine Stute ließ sich nicht zweimal bitten und streckte sich im Galopp. Sie trug ihn ins Lager zurück, kaum fünfzig Fuß vor der heranpreschenden christlichen Reiterei.
    Tannhäuser schaute auf das Feld der Verwundeten zu seiner Linken und sah, wie die Pfleger vor den Angreifern flohen. Bäcker ließen ihre Öfen im Stich, Köche ihre Herdfeuer, Wäscher flohen von ihren Kesseln und Wannen und rannten zum Ufer des Großen Hafens und zu den Booten, obwohl sie wußten, daß diemeisten es nicht bis dorthin schaffen würden. Die Truppen in den Latrinengräben, verdattert und ohne Anführer, versuchten vergeblich, sich in dem Chaos zu orientieren, welches das Lager erfaßt hatte. Manche klammerten sich an ihre Schaufeln und rotteten sich zu Gruppen zusammen, um einen verzweifelten Kampf gegen diesen Ansturm zu führen. Andere flohen mit den Köchen.
    Tannhäuser beobachtete, wie sich die Wachtposten tapfer De Lugnys Panzerreitern entgegenstürzten. Sie wurden in alle Winde zerstreut wie Distelsamen im Sturm. Während die Mörderbande sich auf die Zelte des Lazarettes stürzte, übertönte ein ungeheures, zum hohen Himmel sich erhebendes Klagegeheul das Donnern der Hufe und den fernen Tumult der Belagerung. Der Angriff verlangsamte sich, und das Massaker begann. Tannhäuser wandte sich nach Osten zum Basar.
    Er war sich nicht sicher, warum er das tat. Vielleicht war es einfach die schlichte Verbundenheit mit den Menschen dort, vielleicht auch Panik. Er zügelte seine Stute in dem Aufruhr, der im Basar herrschte. In der Menge bemerkte er einige bekannte Gesichter, die er drängte, ihre Waren im Stich zu lassen und sofort in die Berge zu fliehen. Nachdem er diese kleine Pflicht erfüllt hatte, verließ er den Basar wieder, zog sich aus und verstaute beim Reiten seinen Turban. Dann packte er den roten Überrock aus und zog ihn sich über den Kopf. Sofort meinte er zu spüren, daß das Kreuz ihn besser schützte als ein Zoll Stahl. Er flüsterte: »Für Christus und Johannes den Täufer.«
    De Lugnys Mannen stürzten sich ins Gefecht wie Wölfe, die in einen Hühnerstall einbrachen. Ihre Pferde machten alles nieder, was ihnen in den Weg geriet. Als sie einmal durch das Lager geritten waren und ihren Blutzoll eingetrieben hatten, jagten die Ritter den Flüchtenden nach. Sie lehnten sich aus dem Sattel und machten die fliehenden Soldaten nieder. Explosionen flammten auf. Schwarze Rauchsäulen stiegen in den blauen Himmel, als die Magazine, Zelte und Getreidespeicher in Brand gesteckt wurden. Ganze Herden von Pferden und Maultieren irrten in den Pferchen umher, glitten auf dem schlammigen Boden aus, währenddie Ritter ihnen die Sehnen

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