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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Kraft besessen, durch den Schweiß, der ihm in den Augen brannte, nach oben zu schauen, hätte er seinen Ort an den Sternen bestimmen können. Die türkischen Kanonen schwiegen und boten ihm keinerlei Anhaltspunkt. Statt dessen starrte er zu Boden und taumelte hinter Gullu Cakie her, der zwar gelegentlich in der Dunkelheit vor ihm verschwand, doch immer auf ihn wartete wie auf ein trödelndes Kleinkind.
    Sie kletterten über nackte Felsen auf einen Grat, der sich scharf vor dem tiefblauen Nachthimmel abzeichnete, als Tannhäuser einen Hauch von Verwesung wahrnahm. Ohne die Hoffnung, die ihn dieser Geruch schöpfen ließ, hätte er den Aufstieg zum Grat wohl nicht geschafft. Doch es gelang ihm, und mit einem erleichterten Stöhnen erblickte er von der Anhöhe die Wachtfeuer von Birgu. Sie befanden sich auf einem Ausläufer des San Salvatore. Die feindlichen Linien konnten nicht weit entfernt liegen, doch sie hatten die ganze Nacht über keinen einzigen Türken gesehen, und auch jetzt konnte Tannhäuser keinen erblicken. Er hielt sich selbst für einigermaßen geschickt im Tarnen und Täuschen, aber Gullu war ein Meister seines Fachs. Die Freude verging ihm sogleich, als Gullu auf die Bucht von Kalkara deutete und mit den Armen ruderte. Er schlug tatsächlich vor, daß sie schwimmen sollten. Tannhäuser schüttelte müde den Kopf, worauf der Alte ihn voller Verachtung anblickte und in der Dunkelheit verschwand. Tannhäuser folgte ihm schwerfällig.
    Der Monte San Salvatore, den Tannhäuser bisher immer für einen besseren Hügel gehalten hatte, erwies sich abseits der Pfade als überaus zerklüftet. Manche Gräben waren so tief, daß sich ein Mann leicht in ihnen verbergen konnte. Eine Stunde lang krochen sie von einem dieser Gräben zum anderen, ohne irgendein anderes Lebewesen zu sehen oder hören. Als sie die Köpfe wieder hoben,befanden sie sich mitten zwischen den Felsen an der südlichsten Spitze der Bucht von Kalkara. Kaum fünfhundert Fuß entfernt ragte die Bastion von Kastilien auf. Etwa hundert Fuß links davon standen oberhalb des nächsten Wasserarms am Ende der Wallmauer die Bastionen von Deutschland und England. An ihrem Fuß lag das Kalkara-Tor.
    Links von ihnen lief die große Ebene zu einem schmalen Streifen aus, der die Stadtmauern von dem Bergsattel zwischen Salvatore und Margherita trennte. Das Gelände war dicht mit den Leichen der Moslems übersät, die im Mondlicht lange Schatten warfen. Die Anhöhen, die in den Händen der Türken waren, lagen ruhig da, wie in Trauer über die Katastrophe, die plötzlich über sie hereingebrochen war. Hier und da konnte er zwischen den Geschützständen der Belagerungskanonen den Schein ihrer Lagerfeuer ausmachen. Zu seiner Rechten sah Tannhäuser, daß die türkischen Gräben sich über den ganzen Monte Salvatore bis hinunter zur Bucht von Kalkara erstreckten. Auch dort loderten Feuer, und gelegentlich tauchte eine Silhouette mit einem Turban und einer über den Schoß gelegten Muskete auf. Aus diesen Gräben mußten sie mit Beschuß rechnen.
    Gullu Cakie streckte Tannhäuser sein Gewehr hin und deutete an, daß er über das vor ihnen liegende Terrain kriechen wollte, was er gewiß mit der Geschicklichkeit einer Kobra bewerkstelligen würde. Der Malteser zeigte weiterhin an, daß er dafür sorgen würde, daß man das Tor öffnete, ein Augenblick, der sicherlich die größten Gefahren barg. Dann sollte Tannhäuser ihm so schnell wie möglich folgen. Auf diese Weise hatte Tannhäuser die größten Aussichten, heil in Birgu anzukommen. Dieses Ziel schien Gullu offensichtlich wichtiger zu sein als sein eigenes Leben, doch auch das eigene Schicksal war ihm nicht ganz gleichgültig. Er erhob einen knochigen Finger zum Himmel.
    Tannhäuser folgte der Bewegung mit den Augen und war einen Augenblick lang verwirrt. Der Malteser deutete auf das Sternbild des Skorpions. Was wollte er damit sagen? Dann breitete Gullu seine Hand aus und bewegte sie langsam über den zunehmendenDreiviertelmond bis weit hinab in den Südosten. Plötzlich bemerkte Tannhäuser, daß eine blaugraue Wolke genau diese Bewegung ausführte. Es war nur eine einzige kleine Wolke, und Tannhäuser hätte keinen Dukaten darauf gesetzt, daß sie den Mond verbergen und damit die Erde unterhalb verdunkeln könnte. Nun, statt dessen würde er nun sein Leben darauf setzen. Gullu nickte ihm zu, wand sich zwischen den Felsen hervor und bewegte sich auf die Stadtmauer zu.
    Tannhäuser blickte zu der Wolke empor.

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