Das Sakrament
ein Fürst leben.« Er trat einen Schritt näher und beugte sichvor. »Wenn Malta fällt und ich bis dahin noch nicht zurückgekehrt bin und wenn Abbas sich in Richtung Stambul einschifft, dann mußt du mit ihm gehen.«
»Über das Meer?«
»Betrachte es als Teil deiner Erziehung, und gib mir dein Wort darauf! Bei den Tränen der Heiligen Jungfrau Maria.«
»Ich gebe dir mein Wort, bei den Tränen der Heiligen Jungfrau Maria.«
»Gut. Solange du bei Abbas bleibst, kann ich dich wiederfinden. Auch wenn es Monate oder Jahre dauert.«
Orlandu schluckte seine Tränen herunter.
»Glaubst du mir?« fragte Tannhäuser.
»Ja, mein Vertrauen ist das einzige, was ich nicht vortäuschen muß«, antwortete der Junge.
Bei diesen Worten traten Tannhäuser beinahe selbst Tränen in die Augen. Er nickte schließlich feierlich und nahm den schweren Goldring vom Finger, um ihn Orlandu in die Hand zu drücken.
»Behalte ihn als ein Zeichen unserer Freundschaft. Während du ihn trägst, geschieht dir kein Unheil.« Das war völliger Unsinn, zweifellos, aber Orlandu schaute den Ring an, als wäre es der Heilige Gral. Tannhäuser wußte, daß der Ring ihm in den Prüfungen, die noch vor ihm lagen, Mut schenken würde. »Zeige ihn niemand, sonst mußt du ihn mit deinem Leben verteidigen. Versteck ihn in deinem Hintern!«
Orlandu fragte: »In meinem Hintern?«
»Ich kenne Männer, die da sogar Messer verborgen haben und sonst noch allerlei. Wenn Abbas dich je zurücklassen oder gar verkaufen will, dann zeigst du ihm den Ring, und nur ihm allein. Sag ihm, daß er mein Pfand ist – er wird ihn erkennen – und daß du ihn anflehst, den Ring zu ehren, bis ich zurückkehre.«
Orlandu nickte. »Wo gehst du hin?«
»Was dich – und Abbas – betrifft, so bin ich nach Tripolis gegangen.«
Orlandu warf einen Blick in Richtung auf das Kanonengrollen über der Bucht. Dann schaute er wieder zu Tannhäuser, vollerAngst und Zweifel. Er kämpfte offensichtlich mit der Frage, warum Tannhäuser ihn nicht mitnehmen könne, stellte sie aber nicht.
»Jetzt komm und umarme mich«, sagte Tannhäuser. »Wir wollen einander viel Glück wünschen, bis wir uns wiedersehen.«
Orlandu schmiegte seinen Kopf an Tannhäusers Brust und umarmte ihn ganz fest. Tannhäuser drückte die Schultern des Jungen, die sich in seinen großen Händen jämmerlich klein und zerbrechlich anfühlten. Sollte er ihn vielleicht doch lieber mitnehmen? Nein, es war wesentlich sicherer, wenn Orlandu bei Abbas bin Murad blieb. Tannhäuser schob den Jungen ein Stück von sich und wandte sich wieder zu seinem Pferd. Er stieg auf und winkte Orlandu, der reglos dastand, zum Abschied. Dann ritt er fort.
Am Rande des Befehlsstandes begegnete er einem Trupp Musketiere, ohne daß ihn jemand aufhielt. Er ritt den westlichen Hang des Corradino hinunter auf die weite Ebene von Marsa und trabte dann nach Süden durch den Basar, wo er einen halben Sack Kaffee kaufte und in seinen Satteltaschen verstaute. Er steckte sich eine Handvoll Bohnen in den Mund und kaute. Der bittere Geschmack stärkte ihn. Er durchquerte das gespenstisch stille Lager der Soldaten. Beinahe jeder kampffähige Mann war zum Sturm eingezogen worden, und die niederen Ränge, die hiergeblieben waren, um die Latrinen zu erneuern, gönnten ihm kaum einen mürrischen Blick.
Jenseits des eigentlichen Lagers lag das türkische Feldlazarett. Ursprünglich hatte man es in dem Abstand aufgeschlagen, den die Hygiene forderte, doch nun breitete es sich immer mehr aus und hatte das Lager schon beinahe erreicht. Es war eine primitive Ansammlung von zerfetzten Markisen, unter denen eine Heerschar unglückseliger Männer lag, die an Ruhr oder Typhus litten. Die vergifteten Brunnen hatten alle schrecklichen Erwartungen erfüllt. Die sengende Sonne hatte ihr übriges getan. Neben den geplagten Patienten lagen unzählige Verwundete, die auch nach und nach der Pestilenz zum Opfer fielen. Durch diesen Morast schlurften einige wenige ausgelaugte, mutlose Pfleger, auf derenMienen sich die Resignation spiegelte, wie sie Bauern in einem zerstörten Weizenfeld verspüren. Das fiebrige Gestammel der Kranken, ihr Stöhnen und ihre Gebete, ihre Schreie nach Wasser, all das erklang als ein Choral der Verzweiflung, der Tannhäuser bis ins Mark traf. Er bedeckte sich Mund und Nase mit dem Saum seines Kaftans und flüsterte einen Segen für Abbas, der ihm ein solches Schicksal erspart hatte.
Die äußere Grenze dieses ausgedehnten Lagers wurde von
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