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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Auge auf die beiden gehabt.« Bors zuckte die Achseln, als Tannhäuser die Stirn runzelte. »Die beiden sind ziemlich eigensinnig, nicht wahr?«
    Als sie am Fuß der Treppe ankamen, trafen sie dort La Valettes Pagen Andreas, der am ersten Tag der Belagerung von einer Musketenkugel am Hals verletzt worden war. Er teilte ihnen mit, daß Gullu Cakie seine Botschaft bereits übermittelt habe und der Großmeister nun darauf warte, daß Tannhäuser ihm unverzüglich Bericht über die Stellungen der Türken erstatte. Zum Schrecken des Jungen antwortete Tannhäuser, er habe keine Neuigkeiten, die nicht bis zum Morgen Zeit hätten. Bis dahin mochte der Großmeister sich gedulden.
    Ohne ein weiteres Wort machte Tannhäuser sich eilends auf den Weg zum Hospital. Er wollte Carla sehen. Er wollte herausfinden, was sich in ihrem Gesicht spiegelte, wenn sie ihn erblickte. Vielleicht würde es nur um den Jungen gehen. Er wollte ihr berichten, daß Orlandu lebte. Vielleicht würde es aber auch um mehr gehen.
    Auf dem Platz vor dem Heiligen Hospital lagen zahllose Verwundete in blutigen Reihen matt unter dem Sternenhimmel. Sie waren in Decken gehüllt, die vom vielen Waschen und Gebrauch schon ganz verschlissen waren. Klosterbrüder, Kapläne, Juden und maltesische Frauen spendeten ihren Patienten jeden denkbaren Trost. Nach dem, was Tannhäuser noch am Nachmittag im türkischen Feldlazarett gesehen hatte, hätte ihn dies nicht sonderlich anrühren sollen. Schließlich bekamen diese Männer eine andere Fürsorge zu spüren als die Hufe und Lanzen ihrer Feinde, und doch war er eigentümlich bewegt, obwohl er den Grund dafür nicht zu nennen vermochte.
    Dann hörte er eine Melodie, die durch die Nacht heranwehte, leiser, als er sie auf dem Berg vernommen hatte. Er schaute Bors an, um sicher zu sein, daß er sich diese Musik nicht nur einbildete. Bors deutete mit dem Kopf auf die Werftbucht.
    »Sie musizieren da unten am Wasser.«
    »Beide?«
    »Jeden Abend, seit Carla die Herberge verlassen hat.«
    Bors streckte die Hand aus. Tannhäuser gab ihm das Gewehr und die leeren Satteltaschen und wandte sich Richtung Werftbucht.
    »Mattias.«
    Tannhäuser blieb stehen.
    »Bruder Ludovico ist zurückgekehrt.«
    Tannhäuser schloß die Hand fest um den Griff seines Dolches.
    »Das war auch mein erster Gedanke«, stimmte ihm Bors zu. »Aber es wäre keine leichte Angelegenheit, ihn umzubringen. Bruder Ludo ist ein Justizritter. In der Zunge von Italien.«
    »Ludovico ist in den Ritterorden eingetreten?«
    »Er hat sie mit Reliquien umworben und auch seinen Mann in der Schlacht gestanden.«
    »Ich hätte nicht gedacht, daß La Valette ein solcher Narr ist.«
    »Alle respektieren Bruder Ludovico, und die Italiener lieben ihn.«
    Tannhäuser strich sich mit der Hand übers Gesicht. »Dann sind hier alle verrückter, als ich befürchtet hatte.«
    »So geht es eben im Krieg«, meinte Bors. Dann fügte er hinzu: »Bisher hat Ludovico noch keine Schwierigkeiten gemacht, aber seine Spione haben ihre Ohren überall. Nimm dich also in acht.«
    »Ich soll mich in acht nehmen?«
    Die Schrecken des Tages hätten ihn beinahe überwältigt, und nun schwankte er an einem Abgrund und wußte nicht, ob er in ungezügelte Wut oder in unbändige Heiterkeit ausbrechen sollte. Dann verebbte die Musik genauso wieder in der Nacht, wie sie gekommen war, und der Augenblick war vorüber.
    »Du siehst aus wie jemand, der nicht mehr ganz von dieser Welt ist«, meinte Bors. »Komm und trink einen Branntwein mit mir. Wir besaufen uns und erzählen uns von besseren Zeiten.«
    »Bors«, antwortete Tannhäuser. »Umarme mich, mein Freund!«
    Tannhäuser umfaßte die breiten Schultern des Engländers, wie ein Ertrinkender sich an einen Baumstamm klammern mochte. Dann wandte er sich ab und ging durch die verfallenen Straßen zur Werftbucht hinunter.
    Er fand die Frauen auf ein paar Felsen am Ufer. Aus der Nähe erklang Amparos Laute zart und rein, und ihre vielen Saiten trugen den kraftvollen Klang von Carlas Gambe empor, als wären es die Schwingen von Tausenden von bunten Vögeln. Beide Frauen schienen völlig in diese Welt unendlicher Schönheit versunken, hatten die Augen vor der Welt ringsum verschlossen. Wenn irgend etwas die Waagschalen des Kosmos je wieder ins Gleichgewicht bringen konnte, dann war es dieser Zauber, der hier und jetzt die Luft erfüllte.
    Tannhäuser setzte sich zum Zuhören auf einen Felsen. Er warnicht allein. Vierzig oder mehr Menschen hatten sich

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