Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
Vom Netzwerk:
ganz in ihrer Nähe aufhalten, falls wir rasch abreisen müssen.«
    »Wir werden ja sehen«, grummelte Bors. »Scheint so, als hätte Mustafa St. Michael in die Knie gezwungen. Die Kerle von Piali sind dahinten. Sie haben Leitern und Seile bis ganz hinauf auf die Bastion von Frankreich, aber so wollen sie nur unsere Reserven beschäftigen. Der eigentliche Angriff findet hier statt.«
    Während Bors seine Gewehrkugel auf die Türken am Hang abfeuerte, ließ sich Tannhäuser neben ihm nieder, um sein Gewehr auf die Mauer aufzulegen und ein Ziel anzuvisieren. Er sah einen jungen Ordenskaplan, der in einem zerfetzten Talar umherirrte, als hätte er sich eben aus dem Schutt der Bastion von Kastilien hervorgegraben. Das Gesicht des Mannes war verzerrt, wie es nur äußerste Furcht und religiöse Ekstase hervorbringen konnten. Ein paar hundert Fuß entfernt blieb er stehen, reckte die Arme in die Höhe und hielt eine wahnwitzige Klagerede, die selbst durch alles Dröhnen des Kampfes bis zu Tannhäuser herüberdrang.
    »Verloren! Wir sind alle verloren! Gott hat Sein Antlitz von uns abgewandt! Die Zeit der Ernte ist vorüber, der Sommer ist zu Ende, und wir sind nicht gerettet! Zieht euch zurück, und schließt euren Frieden mit Christus!«
    Solche Wahnsinnsworte aus dem Mund eines Priesters waren für Piali wertvoller als ein ganzes frisches Bataillon von Spahis . Seit man ihren Maestro de Campo, Don Melchior de Robles, am 12. August durch einen Kopfschuß niedergestreckt hatte, war die Moral der spanischen Soldaten und der Bauernmiliz der Malteser ohnehin erheblich schwächer geworden. Verwirrt hielten die Pikenträger inne und warfen sich fragende Blicke zu. Auf einmal waren sie taub für die Befehle ihres Feldwebels. Sie drehten sich wie Blätter im Wind und waren drauf und dran, ihr Heil in der Flucht zu suchen.
    Tannhäuser runzelte die Stirn und zielte auf den wütenden Kaplan, erschoß ihn mitten durch das Ordenskreuz auf seiner Brust.
    »Nun gut«, sagte Bors. »Irgend jemand mußte ihn ja zum Schweigen bringen.«
    Tannhäuser stopfte sein Pulverhorn in den Gewehrlauf. Die Pikenträger gingen nicht wieder zum Angriff über, aber zumindest überlegten sich es sich nun zweimal, ob sie fliehen sollten. Tannhäuser schaute zu der Gruppe von Männern in Rüstungen herüber, die um La Valette standen, und stellte fest, daß der Großmeister in seine Richtung blickte.
    »Na los, du alter Hund«, schrie Tannhäuser. »Jetzt ist die Zeit gekommen, zeig uns, aus welchem Stoff du gemacht bist.«
    Er wußte nicht, ob La Valette ihn gehört hatte, aber einen Moment später packte sich der Großmeister die Sturmhaube eines verdutzten Soldaten, der in seiner Nähe stand. Zum Entsetzen seiner Gefolgsleute stieg der alte Mann allein auf die Brustwehr und schritt zum Gefecht.
    »Heilige Hostie!« rief Bors. »Er stürzt sich allein in den Kampf!«
    Wenn der heilige Johannes der Täufer persönlich auf dem Feld erschienen wäre, hätte die Wirkung nicht dramatischer sein können. Sofort bildeten die Pikenträger eine geschlossene Kampfformation. Die Provenzalen rangen miteinander darum, wer La Valette als erster folgen durfte. Als der alte Mann in einen schwankenden Laufschritt fiel, erhoben sich die Schlachtrufe der Christen über das Getöse. Die Mutlosen spürten, wie ihr Blut in Wallung geriet, und aus den Ruinen tauchten Ritter auf, wo vorher keine gewesen zu sein schienen. Hunderte rannten wild durcheinander auf die Hänge zu, wo Tausende von erbitterten Feinden ihrer harrten.
    Bors legte seine Muskete fort und ergriff das Schwert. Er schaute zu Tannhäuser, der den Schlüssel seines Radschlosses drehte und die feste Absicht hatte, auf seiner Stellung zu verharren.
    »Komm schon«, stichelte Bors. »Das Mädchen kann dich doch nicht so erschöpft haben, du Schwächling!«
    Tannhäuser lehnte sein Gewehr an die Wand und streifte seine Panzerhandschuhe über. »Aber nur, weil du es mir sonst vorhältst, solange du lebst.«
    Sie schlossen sich dem wilden Lauf ins Verderben an. Als entspränge er einem giftigen Brunnen, dessen Quelle nie versiegen würde, flutete der Rausch des Kampfes Tannhäuser wieder durch alle Adern. Er trug einen Helm und eine Halbrüstung, die er irgendwo hinter den Wällen an sich genommen hatte, und während er rannte, floß ihm der Schweiß in Strömen über das Gesicht. Sein Schwert war aus Passau und mit dem Wolfswappen dieser Stadt gezeichnet. Tannhäuser sprang über Krieger hinweg, die stöhnend in

Weitere Kostenlose Bücher