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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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nach Herzenslust zu wüten. Männer hackten aufeinander ein. Hakenbüchsen krachten, Kanonen dröhnten. Feuertöpfe und brennende Reifen flogen durch die Nacht.
    Carla beugte sich über einen Spanier, der eine üble Bauchverletzung erlitten hatte. Mit seinem eigenen Hemd versuchte sie seine heftig blutende Wunde zu stillen. Er lag reglos da. Sein Gesicht glänzte gelblich im flackernden Feuerschein, in seinen Augen spiegelte sich keine Furcht mehr, sie waren bereits auf ein ewiges Ziel gerichtet. Auf seiner Stirn glänzte eine Spur Chrisam. Er lag schon in Christi Armen. Carla lächelte ihn an, und er nickte mit einer seltsamen Zufriedenheit. Sie nahm ihre Tasche wieder auf, erhob sich und überließ ihn dem Tod.
    Plötzlich merkte sie, daß Mattias sie beobachtete, den Helm unter den Arm geklemmt. Sein Küraß war voller Blut, und er trug ein Gewehr über der Schulter. Seine Gesichtszüge waren im Schatten verborgen. Er kam näher, trat ins Licht. Schießpulver hatte sich wie Tinte in den Fältchen um seine Augen angesammelt. Er renkte den Kopf ein wenig, um eine Wunde von der Breite eines Fingers zu zeigen.
    »Ich bin schwer verletzt«, sagte er. »Ich brauche Eure Pflege.«
    Sie warf einen Blick auf die Wunde. »Ein Kratzer«, sagte sie.
    »Ein Kratzer?«
    Er spielte seine Bekümmerung so überzeugend, daß sie sich verpflichtet fühlte, noch einmal hinzusehen. Er war dem Tode nah gewesen, aber diese Wunde war wirklich nicht tief. Seine Zähne blitzten in einem breiten Lächeln auf.
    »Wie sonst komme ich zu dem Vergnügen Eurer Gesellschaft?«
    Sie lachte überrascht und war höchst verwundert über dieplötzliche Freude, die dieses Lachen ihr schenkte. Sie lächelte oft genug, lächelte die Verletzten und Todgeweihten an, doch das Lachen hatte sie beinahe verlernt. Das letzte Mal, überlegte sie, war in der Nacht seiner Rückkehr aus dem Exil gewesen, als er von seinen Abenteuern unter den Heiden erzählt hatte. Seither hatte sie ihn nicht gesehen. In einer Hand hielt er eine Lederflasche und einen leicht angesengten Weidenkorb.
    »Wasser und Wein von Gott«, sagte er. »Und Brot, eingelegte Eier, Oliven und Schafskäse.« Er deutete mit dem Kinn auf den Krankensaal. »Die Sterbenden können warten, und den Toten macht es nichts mehr aus. Kommt, Ihr müßt mit mir essen, ich bestehe darauf.«
    Mattias nahm seinen Proviant in die andere Hand, in der er auch den Helm trug, packte sie mit der freien Hand beim Arm und führte sie zu einer in den Ruinen improvisierten Brustwehr. In deren Schatten legte er seine Last ab. Er sammelte einige Brocken schwelendes Holz aus einer Ruine in der Nähe und legte daraus ein Feuer.
    »Kein besonders schöner Herd«, meinte er, »aber besser als gar nichts.«
    Carla schaute ihm zu.
    »Genug für drei«, sagte er. »Wo ist Amparo?«
    »Sie leistet Buraq Gesellschaft«, erwiderte sie. »Der Anblick von Wunden macht ihr zu schaffen. Wenn sie hier draußen ist, sorge ich mich um ihre Sicherheit.«
    »Um Eure eigene sorgt Ihr Euch hingegen nicht.«
    »Die Krankenstube ist mehr als zweimal überfüllt, ebenso der Platz und jedes Haus, das noch steht, sogar die Tunnel und die Keller. Es werden gar keine Verwundeten mehr ins Hospital gebracht. Fra Lazaro hat bestimmt, daß wir nun zu ihnen gehen.«
    Mattias ließ seinen Blick schweifen. Ölige Flammen schossen aus den Mäulern der Kanonen an den äußersten Brustwehren, und das Aufblitzen des Infernos, das sie jenseits anrichteten, zeichnete den zerklüfteten Bergrand in scharfem Relief ab. Brennende Reifen wirbelten funkenstiebend ins Leere, und die aufblitzenden Läufe vonMusketen zuckten und krachten. Ein heißer Wind kam von der Wüste jenseits des Meeres herübergeweht und ließ Flammen zu den Sternen auflodern. Aus flachen Gräben im Geröll schrien Männer wie verlassene Kinder in einem Dutzend fremder Sprachen.
    »Man sollte meinen, daß derartiges Leid jenseits aller menschlichen Vorstellung liegt«, sagte Mattias. Er schaute sie an. »Und doch liegt genau darin unser Genie.«
    Carla antwortete nicht.
    Er wischte mit der Hand den Staub von einem Steinblock und forderte sie auf, sich hinzusetzen. Auch er ließ sich nieder und unterdrückte dabei ein Stöhnen. Carla sprach das Tischgebet, und zu ihrer großen Überraschung betete er mit. Sie bekreuzigten sich.
    »Ihr werdet mich noch bekehren«, scherzte er und bot ihr den Weinschlauch an. Seine Hand war voller kleiner Wunden. Zwei Finger, einer dick geschwollen, waren mit einem

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