Das Sakrament
einer Sache, die etwas wert war? Sie striegelte das Pferd ihres Herren und machte für ihn die Beine breit. Sie trieb mit den gemeinen Soldaten einen schwunghaften Handel in Aberglauben und Prophezeiungen. Solche wie sie hatte er schon zur Genüge gesehen, hochgeboren oder niederen Standes. Frauen, die ihren Körper verkauften, um ihr Leben zu fristen, für ein bißchen Macht, für diesen abscheulichen Irrtum, den sie fälschlich als Liebe bezeichneten. Diese Frauen waren wie die Pest. Er bemerkte zum erstenmal, daß Amparos Augen verschiedene Farben hatten. Eines war braun, das andere grau. Ein deutlicheres Zeichen für Hexerei gab es selten. So unterschiedliche Autoritäten auf diesem Gebiet wie Appollonides, Kramer und Sprenger hatten dies bezeugt. Die Strahlen aus solchen Augen mußten böse Geister übertragen, konnten die Augen derjenigen durchdringen, die sie anschauten, und sich geradewegs in fremde Herzen bohren. Von dort würden sich die bösen Geister erheben, das Blut verdicken und alle Innereien befallen. Aristoteles selbst hatte beteuert, daß ein Spiegel die Augen einer unreinen Frau fürchtet, denn bei ihrem Anblick würde sein Glanz wolkig und matt.
Er fragte nach: »Ist es Gott, der so seltsam spricht? Oder der Teufel?«
»Ich weiß nichts vom Teufel«, erwiderte sie. »Und wenn es ihn gibt, welche Hilfe bräuchte er von mir? Ganz besonders hier an diesem Ort?«
Eine gerissene Antwort, wieder in aller Unschuld formuliert. Ludovico erwog, ob er dieses Thema noch weiter erkunden sollte, aber Amparo hatte schon mehr als genug geäußert, was man als Schwarze Kunst auslegen und gegen sie verwenden könnte, wenn sich die Notwendigkeit ergeben sollte. Er bezweifelte nicht, daß es wirklich Hexenkünste gab. Sicherlich wurden manchmal dieZeichen etwas übereifrig gedeutet: Warzen und Borsten auf dem Kinn einer Alten, eine Kuh, deren Milch sauer geworden war – so etwas reichte manchen Bauern schon aus. Schillernde Berichte, daß diese Hexen durch die Luft flogen und bei ihren Ritualen Kinder verschlangen, waren grobe Phantasien. Die Inquisition stand übernatürlichen Kräften skeptisch gegenüber, genau wie er auch, und doch ließen sich manche zweifellos mit dem Satan ein. Amparo nahm ihre Bürste wieder auf und machte mit ihrer Arbeit weiter.
»Ich möchte Euch bitten, mir einen Gefallen zu tun«, sagte er.
Sie wandte sich zu ihm um. Ludovico bemerkte, daß sie ihm kein einziges Mal ins Gesicht geschaut hatte, geschweige denn in die Augen, als wüßte sie, daß sie damit ihre wahre Natur verraten hätte. Mehr als je war er überzeugt, daß ihre Seele verderbt und ihr Charakter bösartig war. Wie leicht er sich doch hatte hinters Licht führen lassen! Wie heimtückisch war der Zauber, den die Reize einer Frau spannen. War Carla denn besser? Vielleicht war sie sogar noch schlimmer. Die Zeit würde es an den Tag bringen. Er hätte Amparo einen Hieb versetzen können, der ihr auch die andere Seite ihres Gesichtes entstellt hätte, hätte sie auf die Heuballen im Lager zerren, ihr das fadenscheinige Leinen vom Leib reißen und sich an ihrem Fleisch besudeln können. Es wäre nur sein gutes, heiliges Recht gewesen, das er sich durch das in der Schlacht vergossene Blut verdient hatte, aber er beherrschte sich.
»Kommt mit«, gebot er ihr.
Er starrte sie an, bis sie begriff, daß sie keine Wahl hatte. Sie folgte ihm nach draußen.
Anacleto erhob sich von einer Bank. Sein ganzer Leib war steif von dem Bemühen, die ungeheuren Schmerzen zu beherrschen, die ihn schüttelten. Die Kugel hatte ihm den rechten Wangenknochen fortgerissen. Ludovico hatte ihn festgehalten, während die Chirurgen die Splitter herauszogen und auch sein Auge gleich mit entfernten. Er hatte über die tapfere Haltung seines Freundes geweint. Anacleto hatte den Knebel, den man ihm zwischen die Zähne gesteckt hatte, mit den Kiefern fest umklammert und keinenLaut von sich gegeben. Die Haut, die noch übrig war, hatte man zusammengezogen. Die Augenhöhle war nur mehr ein feuchtes schwarzes Loch, bestrichen mit einer Wundsalbe aus Moos.
»Das ist Anacleto«, sagte Ludovico. »Er ist mein Freund. Schaut Euch sein entstelltes Gesicht gut an!«
Amparo wollte den Mann nicht ansehen. Ludovico packte sie bei den Haaren und zerrte ihr Gesicht herum. Sie schnappte nach Luft, als sie Anacletos Wunden sah, und schloß die Augen. Anacleto zuckte zusammen,
»Schaut Euch sein entstelltes Gesicht gut an«, wiederholte Ludovico. »Sehr
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