Das Sakrament
den Nordländern getötet, die dann die Sprossen hinaufkletterten, über die Galerien ausschwärmten und den Turm eine Etage nach der anderen von Türken säuberten. Das ganze riesige Bauwerk schwankte an den ächzenden Halteseilen, während im Innern ein heftiger Kampf tobte. Wutgebrüll und Schmerzensschreie waren kaum voneinander zu unterscheiden. Nach vollendetem Kampf standen die deutschen Ordensbrüder triumphierend auf der obersten Plattform und schwenkten blutbesudelte Janitscharenhauben. Die Ritter brüllten den Legionen des Islam, die auf den jenseitigen Hügeln versammelt waren, Flüche und Beleidigungen zu, erhoben dann ihr Antlitz zum Himmel und priesen Jesus Christus, der ihnen einen Augenblick solch großer Verzückung geschenkt hatte.
Als man Anstalten machte, den Turm niederzubrennen, schlug Tannhäuser vor, die Belagerungsmaschine besser zu übernehmen,in der Nähe der Mauer aufzustellen und zum Vorteil der eigenen Scharfschützen zu nutzen. Auf diese Weise konnte man einen besseren Überblick über die türkischen Gräben gewinnen, die sich über den Monte Salvatore erstreckten. La Valette stimmte dem Plan begeistert zu. Der Turm wurde an eine neue Position geschoben. Auf dem untersten Deck installierte man zwei Kanonen, während man auf alle anderen Geschosse Hakenbüchsenschützen postierte. Tannhäuser war einer von ihnen.
Von der obersten Plattform aus hatte man einen Blick auf eine verdörrte Höllenlandschaft, die schwarz von Leichen und Fliegen war. Die zahlreichen türkischen Gräben im Osten waren miteinander in einem komplizierten Muster verbunden. Tannhäuser konnte sich kaum vorstellen, wie Gullu Cakie ihn durch dieses Gewirr geführt hatte. Noch immer verfügten die Türken über viele Männer. Jegliche Flucht zu dem wartenden Boot war unmöglich, ehe nicht der Feind weiter dezimiert war. La Valette hingegen hatte kaum mehr fünfzehnhundert Mann, die noch laufen konnten. Tannhäuser kauerte hinter der oberen Zugbrücke und harrte in der Gluthitze aus, bis sein Vorrat an Pulver und Kugeln erschöpft war. Dann zog er sich von dem Blutturm zurück.
All das hatte er nur zu gern vergessen, als er hier in seiner Wanne lag. Er beglückwünschte sich zu dieser segensreichen Einrichtung. Er hatte damals keine Vorstellung davon gehabt, wie wichtig sie für seinen klaren Verstand sein würde. Vielleicht würde er einfach die ganze Nacht hier liegen bleiben und die Sterne anschauen. Vielleicht würde er einschlafen und ertrinken, und am nächsten Morgen würde man ihn mit einem seligen Grinsen auf dem Gesicht auffinden. Dann erinnerte er sich daran, daß Nicodemus für das Abendessen Hammelkoteletts aufgetrieben hatte, und alle Todesgedanken verschwanden mit einem Schlag. Er regte sich, als er merkte, daß jemand gekommen war. Über dem Wannenrand tauchte Amparos Kopf auf, und ihm sank der Mut. Ihre Augen waren vom Weinen verschwollen und schauten ihn vorwurfsvoll an. Er wußte sofort, daß die kurze Ruhe, die er sich gegönnt hatte, nun vorüber war. Er rang sich ein Lächeln ab.
»Amparo«, fragte er, »warum so traurig?«
Sie wandte ihr Gesicht ab und schaute zum Himmel, ein jammervoller Anblick. Mit äußerster, heldenhafter Anstrengung streckte er eine Hand aus, um ihr Haar zu streicheln. Sie zog den Kopf beiseite.
»Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann nur zu«, forderte er sie auf.
Sie schaute ihn nicht an. »Ist es wahr, daß du in Carla verliebt bist?«
Tannhäuser stieß einen lauten Seufzer aus. Er war verwundert, daß inmitten all dieses Aufruhrs eine so geringfügige Angelegenheit doch so schwer wiegen konnte. »Wir wollen ein andermal davon sprechen«, antwortete er.
»Dann stimmt es also.«
»Amparo, ich habe eine Schlacht hinter mir. Man könnte mit Fug und Recht glauben, daß die Welt zugrunde geht. Hab also Erbarmen mit einem armen Soldaten, und gewähre ihm einen Augenblick des Friedens.«
Amparo schaute ihn an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie streckte wie ein Kind die Hand zu ihm aus, und er zog sich auf seinen steifen, zitternden Beinen in die Höhe und legte ihr einen Arm um die Schulter.
»Er hat mir Angst eingejagt«, sagte sie.
Tannhäusers Groll schwand. »Wer?« fragte er.
»Fra Ludovico.«
Eine plötzliche Wut fegte ihm alle Schmerzen fort. »Hat er dir weh getan?«
Sie schüttelte den Kopf, ohne daß es überzeugend wirkte. Er hob ihr Kinn mit der Hand in die Höhe. Die Erinnerung an die Furcht, die ihr Ludovico bereitet hatte, wurde
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