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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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wäre ihm auch nicht eingefallen, sich wiederholt auf den Rücken zu legen und in entzückter Verwunderung zu den Sternen hinaufzustarren. Im Norden schwebte der Große Bär. Orion schritt im Osten über die Milchstraße. Der Skorpion verschwand langsam hinter dem Horizont. Und doch, wer war der Jäger, wer die Beute? Was für einen Unterschied machte es schon? Denn alles würde vergehen, wie Grubenius ihm versichert hatte, auch die Sterne selbst würden eines Tages zerfallen.
    Als er die türkischen Linien erreichte, hatten sein Selbstvertrauen und seine Menschenfreundlichkeit solche Ausmaße angenommen, daß er sich nach einigen Augenblicken bereits an einem ihrer Wachtfeuer befand und mit den Wachen Schalen voller Linsensuppe und Brot teilte.
    Es waren Anatolier, vier einfache Männer, kaum mehr als Jünglinge, tapfer und verwirrt wie die meisten jungen Soldaten. Er hörte sich ihre traurigen Erzählungen über diesen vermaledeiten Feldzug an, die Erinnerungen an ihre Familien und Liebsten, die sie vielleicht nie mehr wiedersehen würden, und ihre finsteren Vorstellungen vom Willen Allahs und die Berichte von der brutalen Gleichgültigkeit ihrer Befehlshaber. Sie saßen hier auf verlorenem Posten in einem unwirtlichen und feindlichen Land, und während die strahlenden Sterne am Himmel Tannhäuser ein wenig Trost gebracht hatten, starrten diese armen Soldaten nur auf ihr kleines Feuer, als würde ihnen ein einziger Blick auf die fremde Leere über ihnen auch noch das rauben, was von ihren Seelen und von ihrem Verstand geblieben war.
    Sie sprachen von den Ungeheuern, die in der christlichen Festung lebten und die eindeutig mit dem Satan im Bunde waren, denn welche menschlichen Wesen konnten so kämpfen, wie die Christen gekämpft hatten, ohne dabei die Hilfe des Teufels in Anspruch zu nehmen? Der Name des christlichen Zauberers La Valette wurde mit abergläubischer Ehrfurcht ausgesprochen. Man hatte gesehen, erzählten sie, wie er auf den Mauern in der schwärzesten Stunde der Nacht mit Dämonen Zwiesprache hielt. Er hatte die Krankheiten heraufbeschworen, die ihre Ränge ausgedünnt hatten. Er konnte mit den Geiern und Krähen durch die Luft fliegen. Er war unsterblich, denn er hatte seine Seele dem Teufel verkauft.
    Tannhäuser beruhigte die Anatolier. Ihre schlichte Freundschaft rührte ihn, und sie waren hier nicht durch Schwarze Künste gestrandet, sondern wegen der Habgier von Kaisern und Königen.
    »La Valette ist auch nur ein Mensch«, sagte er. »Ein großer und ein schrecklicher Mann, aber trotzdem auch nur ein Mensch. Dasselbe gilt für die Ritter. Die Männer und Frauen der Stadt kämpfen wie die Teufel, weil es ihre Heimatstadt ist, der Grund und Boden ihrer Ahnen, und weil wir gekommen sind, um ihnen das wegzunehmen. Würde nicht jeder von uns auch wütend für sein Heim und seine Familie kämpfen?«
    Die Soldaten nickten und starrten weiter ins Feuer. Funken lodertenhoch in die Nacht und erloschen so schnell wieder, wie sie gekommen waren, als wollten sie ihnen bedeuten, daß ein einzelnes Menschenleben, gemessen an einem so unerbittlichen Kosmos, kaum der Rede wert war.
    »Ibrahim«, sagte einer namens Davud und schaute ihn an. »Bringt der Morgen ihr Ende? Oder unseres?«
    »Der Morgen?« fragte Tannhäuser nach.
    »Der große Angriff«, erwiderte Davud. »Die letzte Schlacht.«
    Diese Neuigkeit ernüchterte Tannhäuser mit einem Schlag. Er wollte mehr wissen. »Man hat uns schon viele letzte Schlachten versprochen.«
    Davud nickte eifrig.
    Tannhäuser deutete ins Dunkel, auf den Bergsattel in Richtung Santa Margherita. »Ich bin bei den Kirmizi Bayrak «, sagte er. Er hatte die roten Banner dort an manchem Tag gesehen. »Wir unterstützen die Löwen des Islam in der zweiten Angriffswelle.«
    Davud schaute auf Tannhäusers vernarbtes Gesicht und seine gebrochenen Finger. »Ihr habt das Schlimmste gesehen, mein Freund.«
    »Das Schlimmste?« erwiderte Tannhäuser. Er schüttelte den Kopf. »Nein, solange man noch lebt, steht einem das Schlimmste immer noch bevor. Wie lauten eure Befehle?«
    »Bisher hat uns Allah, der Barmherzige, hier oben oberhalb der Bucht gnädig behandelt«, sagte Davud. »Selbst diese Teufel können nicht über das Wasser wandeln. Morgen aber sind wir bei der ersten Angriffswelle mit dabei.«
    Die Anatolier tauschten ein paar grimmige Blicke. Tannhäuser zog mitfühlend die Stirn in Falten.
    »Alle?«
    David machte eine vage Handbewegung in Richtung Monte Salvatore.
    »Alle

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