Das Sakrament
das Wohlbefinden des Jungen, aber hier am anderen Ende der Front war die Wahrscheinlichkeit sehr gering, daß sie ihn kannten. Jedenfalls wußte er, daß die Silhadar -Reiterei seit dem ersten Tag nicht am Gefecht beteiligt gewesen war. Es hatte keinen Zweck, Pferde auszuschicken, um Mauern zu bezwingen.
Die Anatolier erhoben sich vor ihm und sprachen zahlreiche Segenswünsche.
»Sagt von dem, was zwischen uns gesprochen wurde, niemandem ein Wort«, ermahnte er sie. Sie nickten. » Assalaamu alaykum «, sagte Tannhäuser. Dann fügte er hinzu: »Möge euch Allah sicher bewahren.«
Als er sich entfernte, sah er die Wachtfeuer auf dem Monte Corradino und war versucht, Orlandu zu suchen, vielleicht auch eine Weile an seinem Feuer zu sitzen. Aber er hatte sein Glück schon genügend strapaziert, und es war nicht mehr lang bis zum Sonnenaufgang. Ohne Zwischenfall gelangte er zum Tor von Kalkara zurück. Bors gab ihm beim Näherkommen Deckung und öffnete ihm das Tor. Ehe er zu Starkey ging, um ihm die Neuigkeiten zu übermitteln, erklärte Tannhäuser seinem Gefährten, was er herausgefunden hatte. Bors blieb skeptisch.
»Die Straße nach Zontra wird frei sein?«
»Das Boot wartet dort nur auf uns«, versicherte ihm Tannhäuser. »Es ist höchste Zeit, daß wir unser Opium und unsere Juwelen zusammenpacken. Wir brechen morgen nacht auf.«
»Nur Mustafas letztes Gefecht steht uns noch im Weg.«
»Ich habe auf dieser vermaledeiten Insel schon mehr letzte Schlachten geschlagen, als ich zählen mag. Hab ein bißchen Zutrauen, und für uns wird es die letzte Schlacht.«
S AMSTAG , 1. S EPTEMBER 1565
Auf der Bastion von Deutschland – Im Heiligen Hospital – Am Posten von Kastilien
Im Morgengrauen wurde beim Ruf des Muezzins der einhundertdritte moslemische Gefangene der Belagerung oberhalb des provenzalischen Tores aufgehängt. Schon seit vielen Wochen schenkte auf beiden Seiten kaum mehr jemand diesem Ritual Aufmerksamkeit, doch wenn es einmal nicht abgehalten worden wäre, dann wäre die Bestürzung so groß gewesen, als hätte man zum Zeichen der Unterwerfung eine weiße Fahne gehißt. Als sich an diesem Morgen die Garnison auf ihr nahes Ende vorbereitete, begriff Tannhäuser erneut, wie genial diese Maßnahme war, denn als sich das Seil straffte, brach die gesamte Verteidigungsmannschaft in rauhes und trotziges Jubelgeschrei aus.
Nach der Hinrichtung wurde in San Lorenzo eine Messe für die Befreiung der Insel gelesen. Gleichzeitig feierten Kapläne, die in einigem Abstand auf der Umwallungsmauer postiert waren, die Messe mit den gemeinen Soldaten. Im Hospital und auf der von Verwundeten übervölkerten Piazza draußen verrichteten andere Geistliche das gleiche Amt für die Kranken. Die Messe war feierlich, und doch herrschte wie am letzten Tag in der Festung St. Elmo eine seltsame Ruhe. Nun hatte man nichts mehr zu befürchten. Die einzige Aufgabe, die noch vor ihnen lag, war zu sterben. Als das letzte Amen zum Himmel aufstieg, hatte La Valette noch ein weiteres brillantes Manöver geplant.
Das silberne Prozessionskreuz des Ordens wurde durch den Mittelgang von San Lorenzo getragen, gefolgt von der heiligen Ikone Unserer Lieben Frau von Philermo. Als die Ikone vorüberzog, meinten viele, echte Tränen über die bleichen Wangen der Madonna strömen zu sehen. Manchen schwanden in der Verzückung die Sinne. Als nächstes folgte das Schwert des heiligen Petrus in dem silbernen Schrein, dessen Deckel geöffnet war, so daß einige Glückliche einen Blick auf die Reliquie werfen konnten.Dann kam das heiligste Besitztum des Ordens, die rechte Hand des heiligen Johannes des Täufers in ihrem juwelenbesetzten Schrein. Den Schluß bildete eine von La Valette persönlich angeführte Ehrenwache von Rittern aus allen acht Zungen.
Die Prozession verließ die Kirche und zog durch die zerstörten Straßen, schlängelte sich am Hospital vorbei und auch vorüber an der Linie der Verteidiger, die sich auf allen Bastionen und Mauern verteilt hatten. Alle beugten die Knie und bekreuzigten sich, als die heiligen Reliquien vorübergetragen wurden, und alle spürten, wie ihnen die Kraft Jesu Christi, Unserer Lieben Frau, des heiligen Petrus und des Täufers durch die Herzen strömte. Der Gedanke daran, daß die Heidenhunde die Hand des heiligen Johannes entweihen könnten, fachte die Wut eines jeden christlichen Soldaten auf den Verteidigungswällen erneut an. Als die Prozession schließlich wieder die Kirche San Lorenzo erreichte,
Weitere Kostenlose Bücher