Das Sakrament
außer den Artilleristen.«
Tannhäusers Herz begann schneller zu schlagen. Er lehnte sich vor und versuchte sich ungerührt zu zeigen, schob einen halbverkohlten Stecken weiter in die Glut. Er beobachtete, wiedie Flammen das Holz ergriffen, und sagte: »Uns haben sie wieder nichts gesagt, aber ihr meint, unser Pascha will die gesamte Reserve einsetzen? Die ganze Reserve?«
»Die Zeit ist reif«, antwortete Davud.
Die Ersatzregimenter, die auf dem Monte Salvatore postiert waren, sollten die Belagerungskanonen schützen, hatten aber zudem noch verhindert, daß eine weitere christliche Entsatztruppe über die Berghänge zur Bucht von Kalkara marschierte – wie damals im Juli, als Ludovico mitgekommen war. Doch auch die Türken konnten nicht über das Wasser laufen. Um Birgu mit den Reservetruppen anzugreifen, mußten sie nach Süden schwenken, und wenn nur noch die Artilleristen zurückblieben, war der Weg nach Zontra – und zu seinem Boot – frei. Selbst für vier Personen. Tannhäuser machte den Polarstern und knapp über dem Bergrand im Nordosten die Hörner des Stiers aus. Der Stier würde sie sicher nach Hause geleiten. Er dachte an Amparo und hielt dies für ein gutes Vorzeichen. Er räkelte sich und streckte die Arme.
»Es ist Zeit, ich muß gehen«, sagte er.
Ein kindlicher Ausdruck huschte über Davuds Gesicht.
Eine Stelle aus dem Koran tauchte in Tannhäusers Gedanken auf.
Er sagte: »Wahrlich, bei Allah allein ist die Kenntnis der Stunde. Er sendet den Regen nieder, und Er weiß, was in den Mutterschößen ist. Und niemand weiß, was er sich morgen zufügen wird, und niemand weiß, in welchem Lande er sterben wird. Wahrlich, Allah ist allwissend, allkundig.«
Die vier jungen Männer machten ehrerbietige Gesten, waren aber darum nicht weniger ängstlich.
»Wart ihr schon einmal an einer Schlacht beteiligt?« fragte Tannhäuser.
Er ließ den Blick rings um das Feuer schweifen. Alle vier schüttelten den Kopf.
»Beim Angriff«, fuhr Tannhäuser fort, »bleibt nah beieinander und achtet jeder auf die Sicherheit der anderen.«
Sie starrten ihn alle vier angespannt an.
»Im Getöse, im Rauch und im Schrecken denkt nur an euch –und an Allah, Er sei hochgepriesen. Acht Augen sind besser als zwei, vier Schwerter besser als eines. Nehmt all euren Mut zusammen und all eure Fertigkeiten. Wohin der eine geht, dahin gehen alle, aber geht nicht als Gruppe zusammen aufs offene Terrain, sonst gebt ihr ein zu gutes Ziel ab.«
Er wartete, bis die Anatolier nickten.
»Achtet auf ihr griechisches Feuer – die fliegenden brennenden Reifen. Und auch auf die Kanonenkugeln – sie erheben sich blitzschnell aus dem Staub wie Kobras, aber wenn ihr euch rasch bewegt, könnt ihr ihnen entgehen. Und geht den Christen aus dem Weg, die eine volle Rüstung tragen. Sie sind vielleicht keine Teufel, aber sie sind verteufelt schwer zu töten.«
Die Soldaten sahen ihn an, als wäre er Salomon. Ihre ernsten Gesichter rührten ihn. Er langte in sein Gewand und zog zwei Opiumkugeln heraus. Warum auch nicht? Er zog einen Dolch, dessen befleckte Klinge im Schein der Flammen schwarz und böse aussah. Sie schauten ihm zu, wie er die goldgesprenkelten Pillen in der Mitte durchschnitt.
»Es gibt kaum Vorteile, in der ersten Angriffswelle zu sein«, fuhr er fort. »Aber an eines solltet ihr euch erinnern: Eure Aufgabe ist es, die Feinde ins erste Gefecht zu verwickeln, damit die zweite Welle sie überwältigen kann. Wenn ihr überlebt, bis die zweite Welle ankommt, zieht euch gleich zurück, aber stellt es geschickt an, wie ein Beutelschneider auf einem Jahrmarkt. Verfallt nicht in Panik! Rennt nicht! Behaltet eine kriegerische Miene bei! Packt euch einen verwundeten Kameraden und schleppt ihn zu den Linien zurück! Tragt ihn stolz! Wenn ihr es schafft, dann werdet ihr schlimmstenfalls verprügelt, bestenfalls für eure Tapferkeit belohnt. Jetzt zeigt mir eure rechten Handflächen.«
Sie streckten ihm ihre Hände entgegen. Wenn er ihnen geboten hätte, sie ins Feuer zu halten, hätten sie ihm auch gehorcht. Er legte eine halbe Pille in jede Hand.
»Schluckt die hier, wenn ihr den Hügel hinaufstürmt, wenn euer Herz gegen die Rippen zu pochen beginnt, aber nicht vorher. Sie sind ein Vorgeschmack auf das Paradies und werden euchhelfen, jede Furcht zu verbannen. Und wenn ihr auf das Paradies zusteuert, dann erleichtern euch die Pillen die Reise.«
Tannhäuser überlegte, ob er sie nach Orlandu fragen sollte, denn er dachte oft an
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