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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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hartgesottensten Männer vergossen bei ihren himmlischen Melodien bittere Tränen. Mitunter wurde getanzt, manchmal auch gesungen, denn der Asturier Andreas de Monatones ließ, wenn er beschwipst war, seine wunderbare Tenorstimme erklingen. Gelegentlich auch rezitierte Tannhäuser Klagelieder und erotische Gazals im türkischen Stil, denn er bestand darauf, daß man Poesie jedweder Sprache ehren müsse.
    Wie Bors sagte, war ihnen der Geist des »Orakels« bis in die Unterwelt nachgefolgt.
    Nach dem Rückschlag vom 23. August leckten die Türken acht Tage lang ihre Wunden und führten keine größeren Angriffe mehr durch. Der Krieg ging jedoch im Untergrund weiter, denn die Sappeure der Mamelucken verdoppelten ihre Bemühungen, die Bastionen der Ritter zu untergraben. Während sie Stollen durch den Kalkfelsen des Niemandslandes gruben, krochen La Valettes Ingenieure mit Wasserbecken und Sonden mit winzigen Glöckchen umher, um die Schwingungen zu entdecken, welche die Grabwerkzeuge auslösten. Jedesmal wenn sie so wieder einen Stollen entdeckt hatten, bohrten sie einen Gegenstollen, um dieGrabungen des Feindes zu unterbinden und die unterirdischen Gänge zu zerstören, ehe sie bis zu den Wällen reichten. Hatten sie Erfolg, kam es zu so erbitterten Zweikämpfen unter der Erde, daß selbst Tannhäuser das Blut in den Adern gefror, wenn er davon hörte.
    Die Ritter leisteten ihren eigenen Beitrag zu diesem Durcheinander, als sie die Brücke zwischen Birgu und St. Angelo sprengten. Diese eigenartige Tat verblüffte viele in der Garnison tagelang. Man hielt sie entweder für ein Versehen oder für eine Art Sabotage, und für dieses Vergehen wurden die Sklaven, die dabei geholfen hatten, den Sprengstoff auf die Brücke zu schleppen, im Kanal ertränkt. Auch als später enthüllt wurde, daß die Zerstörung der Brücke eine strategische Maßnahme zur Förderung der Moral gewesen war, erschloß sich die der Abspaltung der letzten Redoute zugrunde liegende Logik nur den Gescheitesten, denn schließlich bedeutete dies, daß man nun täglich Vorräte mit Booten nach Birgu bringen mußte. Jeder wußte aber, daß die Ritter seltsame Gesellen waren, und keiner war seltsamer als der verehrte Großmeister selbst, von dem dieser Befehl gekommen war.
    Tannhäuser dachte weiterhin darüber nach, wie sie zu dem Boot in Zontra fliehen konnten. In seinen finsteren Augenblicken erschien ihm der Plan wie ein kindliches Hirngespinst, das ihn lediglich daran hinderte, völlig den Verstand zu verlieren. Bors brachte die Sache nie zur Sprache, auch Carla nicht. Tannhäuser wußte, daß beide diesen Plan für ehrlos hielten. Es war auch sonnenklar, daß sie ihn nicht mehr ernst nahmen, aber sie hatten auch das schnittige kleine Boot nicht gesehen, das ihm tausendfach vor Augen schwebte, hatten nicht die Brise gespürt, die ihnen auf der Flucht nach Italien durchs Haar wehen würde.
    Am 29. August wurde ein allgemeiner Fasttag angeordnet, zur Erinnerung an die Enthauptung des heiligen Johannes des Täufers. Als eine Art Entschädigung fand dann am Freitag, dem 31. August, ein abendliches Gelage statt, das alles übertraf, was die Herberge bisher erlebt hatte, nicht zuletzt weil Bors als Zeremonienmeister fungierte. Der Anlaß hatte sich ganz von selbst ergeben,war vielleicht durch eine Vorahnung geschürt worden. Hundert Tage hatten sie nun schon hier in der Hölle überlebt. Die Frauen musizierten. Wein und Branntwein flossen in Strömen. Balladen und Lieder wurden gesungen. Carla wagte mit Monatones eine Gigue, und sie gaben ein schönes Paar ab. Neid und Erregung bewegten Tannhäuser, sich zu einem Stelldichein mit Amparo in der Wanne davonzustehlen. Obwohl er Amparo inniger liebte als je, sagte er es ihr nicht, und wieder hätte er den Grund dafür nicht angeben können. Ewigkeitssteine wurden herumgereicht, und doch konnte Tannhäuser, während der Abend fortschritt, einen nagenden Gedanken nicht verscheuchen: Das Boot in Zontra rief.
    Als die Mitternachtsstunde schlug und der Mond längst im Westen untergegangen war, beschloß Tannhäuser, obwohl er vom Opium und vom Wein ganz trunken war, einen Erkundungsgang zu machen. Er zog sich das rote Gewand und die gelben Stiefel eines Spahi -Sergeanten an, die er einem Gefallenen abgenommen hatte.
    Tannhäusers Trunkenheit erwies sich als hilfreich. Ohne Wein und Opium im Blut wären die dreihundert Schritte, die er den Monte San Salvatore hinaufkriechen mußte, viel zu anstrengend gewesen. Sonst

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