Das Sakrament
kennzeichnete.
Tannhäuser hörte, wie jemand die Tür aufschloß und öffnete. Dieser Klang, die Schritte und die klirrende Rüstung dröhnten durch die Stille, an die er sich gewöhnt hatte. Ein Mann oder zwei? Zwei, ja. Die Flamme einer Fackel tauchte aus dem formlosen Dunkel auf und beschrieb einen Halbkreis über der Öffnung der Guva . Die Fackel verharrte in der Bewegung und flackerte, schien mitten in der Luft zu schweben. Dann begriff Tannhäuser, daß man sie in eine Halterung an der Wand der Zelle geschoben hatte. Während sich seine Augen an die ungewohnte Helligkeit gewöhnten, eilten die Schritte rasch hin und her. Eine Gestalt ging an der Fackel vorüber. Eine Leiter wurde an einer der Tür abgewandten Seite in die Guva hinuntergeschoben. Er erhaschte einen Blick auf einen Helm. Dann umrundete die schattenhafteGestalt die Grube, ihre Schritte entfernten sich, und die Tür öffnete und schloß sich erneut. Wieder senkte sich Stille herab.
Tannhäuser wartete. Es schien ihm unangebracht, einen zu glühenden Wunsch zum Ausdruck zu bringen, dieses Gefängnis zu verlassen. Seine Ohren waren durch die Stille so empfindlich geworden, daß er die Flamme zischen hörte. Und er hörte einen Mann atmen. Er atmete langsam und ruhig, genau wie Tannhäuser selbst. In dem Licht, das von oben auf ihn fiel, wurde er sich seiner eigenen Nacktheit bewußt, der heidnischen Tätowierungen auf seinen Armen und Oberschenkeln, des Scheins der goldenen Löwen an seinem Handgelenk. Er kletterte die Leiter hinauf, spürte, daß Augen auf seinen Rücken starrten, und trat aus der Guva . Er wandte sich um.
Ihm gegenüber, auf der anderen Seite der Grube, stand Ludovico. Obwohl die Dunkelheit dahinter undurchdringlich war, spürte Tannhäuser, daß sich sonst niemand in der Kammer aufhielt. Ludovico trug seine prächtige schwarze Negroli-Rüstung. Die Platten glänzten, als würde das flammende Licht nicht von der Fackel strömen, sondern von dem emaillierten Stahl. Ludovicos Kopf war nicht bedeckt. Er schien unbewaffnet zu sein. Das Licht von der Fackel an der Wand fiel nur auf eine Hälfte seines Gesichtes, ließ die andere im Schatten versinken. Seine Augen wirkten wie tiefe Seen einer Unterwelt. Wenn ihn Tannhäusers Lebenskraft überraschte, so ließ er es sich nicht anmerken. Ludovico neigte zum Gruß den Kopf. Tannhäuser ließ sich im Schneidersitz an der Kante der Guva nieder, stützte seine Hände auf die Knie. Er nickte als Antwort, und die beiden Männer betrachteten einander über die Grube hinweg.
Einige langen Momente verstrichen. Dann begriff Tannhäuser, daß von ihm ein Zeichen der Unterwerfung erwartet wurde.
Er fragte: »Welcher Tag ist wohl heute?«
»Das Fest der Geburt Unserer Lieben Frau. Samstag, der achte.«
Sechs Tage. Die Zeit war ihm gleichzeitig länger und kürzer erschienen.
»Tag oder Nacht?«
»Zwei Stunden vor Sonnenaufgang.«
»Und die Stadt steht noch.«
»Die Stadt steht noch«, erwiderte Ludovico, »und mehr noch, die Belagerung ist beendet.«
Tannhäuser starrte ihn an. Keine Nachricht hätte ihn mehr überraschen können. Und doch hatte Ludovico keinerlei Grund, ihn zu täuschen.
»Gestern morgen sind fast zehntausend Soldaten in der Mellieha-Bucht an Land gegangen«, berichtete Ludovico. »Sie haben ihr Lager auf den Anhöhen des Naxxar aufgeschlagen.«
»Und die Türken?« wollte Tannhäuser wissen.
»Sie haben ihre Belagerungsgeschütze abgebaut und ziehen sich auf ihre Schiffe zurück.«
»Mustafa rennt vor zehntausend Kriegern fort?«
»Unser Großmeister hat einen muslimischen Gefangenen freigelassen und ihm zu verstehen gegeben, daß die Entsatztruppe doppelt so stark sei.«
Tannhäuser dachte nach. Der Ritterorden hatte gewonnen, und er hatte versucht, von der Insel zu fliehen – zu einer Zeit, als das, wie sich herausstellte, gar nicht mehr nötig war. Als Ludovico sich ein wenig bewegte und das Licht der Fackel auf seine Augen fiel, bemerkte Tannhäuser, daß auch dem Inquisitor die Ironie dieser Situation nicht entgangen war.
»Es ist wahr«, sagte Ludovico. »Der Zeitpunkt Eurer Flucht hätte nicht schlechter gewählt sein können.«
Tannhäuser antwortete: »Ich bin sicher, Ihr seid nicht nur gekommen, um mir diese frohe Kunde zu überbringen.«
Ludovico schaute hinter sich, ließ sich dann auf dem Stuhl an der Kante der Guva nieder.
»Wenn ich Eure Lebensgeschichte recht verstehe, so seid Ihr ein Mann, der immer wieder in der Lage war, die Vergangenheit
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