Das Sakrament
den Türken anschließen kann. Bei ihnen wird es ihm wohl ergehen. Er wird Euch vergessen, so wie Ihr ihn vergessen werdet. Und wenn Ihr mir keinen Grund mehr dazu gebt, werde ich ihm auch kein Leid mehr zufügen oder ihm grollen. Sein Leben ist also – wie Amparos Leben – in Eurer Hand.«
Ludovico erhob sich.
»Das ist meine Antwort«, sagte er. »Jetzt gebt mir Eure, denn ich komme nicht noch einmal zu Euch zurück, um sie zu erfragen.«
Auch Carla stand auf. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen.Sie hatte sie bereits getroffen, ehe er den Raum betrat, denn sie hatte seine Forderungen vorhersehen können.
»Wenn meine Zustimmung das Leben von Mattias und Amparo rettet, dann zahle ich diesen Preis freiwillig und ganz und mit Freuden.«
Ludovico atmete schwer.
»Wenn die Entsatztruppen kommen«, sagte sie, »gehen wir nach Mdina. Und alles soll so werden, wie Ihr es wünscht.«
S AMSTAG , 8. S EPTEMBER 1565
Im Gerichtshof
Er hatte sie nun schon mehr Tage, als sie zählen konnte, mehrmals täglich besucht. Jedesmal hatte er seine Hosen heruntergezogen, ihr die Beine gespreizt und war in sie eingedrungen. Diese Überfälle waren brutal und zogen sich lang hin, denn Anacleto kam nur schwer zum Höhepunkt und schien das ihr übelzunehmen. Er war von etwas besessen, und sie wußte, daß es nur etwas abgrundtief Böses sein konnte, etwas, das seinem verbliebenen Auge einen ganz besonderen Schimmer verlieh. Sein halb zerstörtes Gesicht verzerrte sich, keuchte über ihr. Wenn er sich endlich in ihr verströmte, schrie er: »Filomena!« Dann kroch er angewidert von ihr, zog sich mit abgewandtem Gesicht wieder an und verschwand. Der geheimnisvolle Name war das einzige Wort, das er sprach.
Amparo ertrug diese Vergewaltigungen, wie sie andere in ihrer fernen Vergangenheit ertragen hatte. Tannhäuser hatte ihr aufgetragen durchzuhalten, und das gab ihr alle Kraft, die sie brauchte. Anacleto war zart gebaut. Wenn sie ihn an der Tür hörte, spuckte sie auf die Finger und befeuchtete sich. Sie schloß die Augen und ließ es mit sich geschehen. Sie umklammerte den Kamm aus Silberund Elfenbein, bis ihre Handfläche blutete. Während Anacleto zwischen ihren Schenkeln tobte, dachte sie an Tannhäuser, ihre blutrote Rose. Obwohl seine Dornen ihr Herz durchbohrt hatten, hatte er sie doch zum Singen gebracht. Und wie sie gesungen hatte! Und wie sie immer noch sang! Amparo biß die Zähne zusammen, ließ keinen Laut hören. Doch in ihrem inneren Reich, das weitläufiger und komplexer war als der gesamte Kosmos draußen, da sang sie vor Liebe. Sie sang und sang und sang.
Tannhäuser würde kommen, um sie zu holen. Und sie würde für ihn singen.
Zwischen den Besuchen Anacletos lag sie nackt auf dem Bett, ganz in sich zurückgezogen, unendlich weit weg. Die sizilianische Alte brachte ihr Essen. Die gleiche verdorrte alte Hexe mit den Spinnenfingern, die schon wochenlang in den Ställen herumgespukt war. Sie schaute Amparo voller Abscheu an. Ihre wäßrigen Augen hatten den gleichen besessenen Blick, den sie auch bei Anacleto bemerkt hatte. Ständig murmelte sie etwas vor sich hin, spie Worte aus, die wie Flüche klangen. Sie hatte den bösen Blick. Dann drehte sich der Schlüssel wieder im Schloß, und die Alte war fort.
Amparo aß nur wenig. Tagsüber wartete sie darauf, daß das Licht im hohen Fenster schwächer wurde, denn Anacleto erschien nie nach Einbruch der Dunkelheit. Nachts beobachtete sie, wie die Sterne über den winzigen Flecken Himmel wanderten, den sie sehen konnte. Sie machte sich keine großen Gedanken über ihre mißliche Lage. Grausamkeit gehörte zur Natur wie der Frost zum Winter. Man mußte schauen, daß man sie überlebte, und dann gleich vergessen. Sie ließ nichts an ihr Herz herankommen. Sie dachte an Nicodemus und Bors, die aus Gründen, die ihr unvorstellbar waren, ihre Freunde geworden waren und sich um sie gekümmert hatten. Sie dachte an Carla und das letzte – furchtbare – Bild, das sie in ihrem Zauberglas gesehen hatte: das Bild einer gehenkten Frau in einem roten Seidenkleid. Und sie dachte wieder an Tannhäuser, der ihr wie niemand je zuvor das Gefühl gegeben hatte, schön zu sein. Sie zog den Elfenbeinkamm durch ihr Haar. Sie beobachtete, wie das Licht auf den silbernen Arabeskenspielte. Sie beschwor herauf, wie sich seine Haut angefühlt hatte, wie blau seine Augen gewesen waren, wie seine Stimme geklungen hatte. Sie lächelte bei der Erinnerung an seine närrischen Spielereien. Sie
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