Das Sakrament
läßlicheren Sünde irgendwie die größere vermeiden könne, als sei das Böse einem kleinen Schluck aus einem Kristallkelch gleichzusetzen und nicht einem stinkenden Sumpf, in den man kopfüber hineinfiel, um dann ganz zu versinken.
»Gott, verschone mich«, rief er aus. »Gott, vergib mir!«
Einen Augenblick lang fürchtete er, der Versuchung erlegen zu sein, aber das Sackleinen war nicht besudelt, genausowenig die Kacheln zu seinen Füßen. Die Welle verebbte, die Dämonen verzogen sich. Ludovico besprenkelte sich das Gesicht mit Brunnenwasser. Er sprach ein Dankgebet zum heiligen Dominik. Er spülte das Tuch aus, wusch sich den Bauch und dachte an seinen Sündenfall.
Damals war er sechsundzwanzig Jahre alt gewesen. Sein Förderer, Michele Ghislieri, hatte ihn nach Malta geschickt, um dort den Rücktritt des Bischofs von Mdina zu erwirken, der einem seiner Lieblingsneffen weichen sollte. Daß man Ludovico in diesem Alter einen so heiklen Auftrag gegeben hatte, zeigte, welch große Stücke Carafa auf ihn hielt. Doch Ludovico hatte ein Mädchen kennengelernt, hoch oben über der Brandung auf der Küstenstraße. Sie hieß Carla de Manduca. Das Bild ihrer Schönheit grub sich in sein Herz und entzündete dort eine Flamme, die ihn ständig quälte. Geißelungen steigerten seine Wollust noch, und obwohl er darum betete, daß diese Heimsuchung ihn verlassen möge, packte sie ihnnur noch fester. Er spürte ihr nach, in der Hoffnung, er würde herausfinden, daß sie ihm nichts bedeutete, aber sein Wahn wurde nur verstärkt. Sie gingen miteinander spazieren, und er erklärte sich bereit, ihr die Beichte abzunehmen. Neben anderen läßlichen Sünden gestand sie unreine Gedanken – über ihn. Sie führte ihn zum Götzenbild der riesigen heidnischen Göttin, das schon seit den ersten Tagen der Menschheit auf der Insel stand. Dort liebten sie sich, er so jungfräulich wie sie.
In den folgenden Wochen nahm ihre Bezauberung noch zu. Während Ludovico so sündigte, beraubte er den Bischof von Mdina aller Würde, die er noch besaß. Ludovico brach den Geist des alternden Mannes mit dem Eifer der Jugend und erniedrigte ihn zu einem Wurm, der kriechend um Vergebung flehte. Dann verbannte er ihn in eine Zelle in der Einöde Kalabriens. Seine eigenen Verfehlungen hatten seine Grausamkeit noch angefacht, und seine Schuldgefühle hatten ihm die Eingeweide verkrampft und die Gedanken umnebelt. Er drohte dem Wahnsinn zu verfallen und seinem Glauben abzuschwören und damit nicht nur selbst in Verdammnis zu fallen, sondern auch den Ludovicis in Neapel öffentlich Schande zu machen und Seine Heiligkeit in Rom zu verraten. Als er schon beschlossen hatte, seine Berufung zugunsten des Mädchens aufzugeben, wurde Ludovico selbst denunziert. Er wurde vor den Prälaten von Malta zitiert, wo man ihm mitteilte, die Eltern des Mädchens hätten gegen ihn Anklage wegen schändlichen Verhaltens erhoben. In Panik und Verzweiflung floh er zurück nach Rom und beichtete Ghislieri seine schrecklichen Missetaten.
Der gerissene Ghislieri schickte Ludovico zur Strafe nach Kastilien, wo er beim berühmtesten spanischen Meister, Fernando Valdés, das Handwerk der Inquisition lernen sollte. Als Huldigung an den heiligen Dominik ging Ludovico barfuß von Rom nach Valladolid. Es war für ihn eine Reise der Offenbarung und geistigen Wiedergeburt. Bei seiner Ankunft wurde er als heiliger Narr willkommen geheißen, der vom lebendigen Geiste Jesu Christi erfüllt war. Vielleicht war es inzwischen auch so, denn durch seine ungeheure Willensanstrengung und Kasteiung hatteer Carla vergessen. Nun, so viele Jahre später, schien es, daß er sie doch nicht ganz verdrängt hatte. Gott oder der Teufel – der eine oder der andere hatte sie hierhergeführt, sie wieder in seine Reichweite gebracht, um ihn zur Sünde zu verführen und seine Seele zu bedrohen.
Damals hatte Ludovico nie erfahren, welche Intrigen dazu geführt hatten, daß er in Malta so plötzlich in Ungnade gefallen war. Erkundigungen, die er in jüngster Zeit eingezogen hatte, hatten ihm enthüllt, daß der gestürzte Bischof den damaligen Marineadmiral La Valette zu seinen Verbündeten zählte und daß La Valette hinter der Anklage wegen seiner Verfehlung gesteckt hatte. Ludovico hegte keinen Groll gegen den Mann. Groll war etwas für Schwächlinge. Er würde den Sturz La Valettes aus anderen Gründen bewerkstelligen. Und was Carla betraf, so trug er ihr nichts nach. Wenn sie sich tatsächlich gegen ihn
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