Das Sakrament
er zu gegebener Zeit bedenken.
Ludovico trat ans Fenster und blickte auf den Innenhof hinunter. Die gesattelten Pferde warteten darauf, sie nach Palermo zu tragen. Dort würde er sich den spanischen Vizekönig Garcia deToledo genau ansehen, ehe er sich auf die Reise nach Rom machte. Nach dem Vizekönig von Neapel und dem Papst war Toledo der mächtigste Mann in Italien. Für die Verteidigung von Malta war er wichtiger als jeder andere. La Valette hatte Ludovico gebeten, Toledo zu drängen, ihm Entsatztruppen zu schicken. Doch dieser Teil des Plans mußte warten, bis er aus Rom zurückgekehrt war. In Rom würde er die Finanzen aufbringen müssen, die für Toledos Zustimmung notwendig waren.
In Rom würde er auch seine Rückkehr nach Malta und seine Unterwanderung des Ordens vorbereiten. In den richtigen Händen konnte sich der Orden zu einem wahren Wächter der Kirche entwickeln. Die Ordensritter hatten geschworen, nie gegen Mitchristen zu kämpfen, aber wie alle politischen Grundsätze ließ sich auch das ändern. Der europäische Krieg gegen die Lutheraner würde weitaus blutiger werden, als sich irgend jemand vorzustellen vermochte. Die Waffen und das Ansehen des Ordens würden von unschätzbarem Wert sein – wenn sie die türkische Invasion überstanden. Doch das lag in Gottes Hand.
Ludovicos Gottvertrauen war unerschütterlich.
Sie verließen die Abtei. Die Sonne stand hoch am Himmel. Die Straße nach Palermo war frei. Sie ritten nach Norden, den Wind der Geschichte im Rücken.
D IENSTAG , 15. M AI 1565
Im Gästehaus der Villa Saliba
Tannhäuser erhob sich von der Gartenbank wie ein Wolf aus einem urzeitlichen Traum, geschmeidig und sofort hellwach, doch immer noch halb in den Fängen einer anderen Welt. Als er seine klaren blauen Augen auf Carla richtete, verflogen alle Erwartungen, die sie gehabt hatte, augenblicklich. Sein Gesicht war zerfurcht, aber noch jung. Eine schwarze Pulververbrennung verunzierteunter seinem linken Ohr den Hals. Auf derselben Seite durchschnitt eine schmale weiße Narbe seine Braue. Das Haar fiel ihm ins Gesicht, als er sich aufrichtete, und die Augen, die darunter blitzten, erinnerten an eine ungezähmte Kreatur, die in einer Welt leben mußte, die ihr zu zivilisiert war, als daß sie ein Zuhause hätte sein können. Als er das Haar zurückstrich, verflog dieser Eindruck zu ihrem Bedauern sofort. Seine Lippen teilten sich, als er lächelte, und es kamen unregelmäßige Zähne zum Vorschein, die ihm einen Hauch von Grausamkeit verliehen. Sein burgunderrotes Wams war mit schrägen goldenen Streifen verziert und von bester Qualität. Seine hohen Stiefel glänzten.
Carla erschrak. Tannhäuser brachte, nur indem er sich aufrichtete, ihr Blut so in Wallung, wie sie es nie für möglich gehalten hätte. Sie bat ihn zu einer Erfrischung ins Wohnzimmer. Er hielt inne, um ihre Gambe auf dem Ständer zu betrachten.
»Eine Viola da Gamba, nicht wahr? Das ist Euer Instrument?«
Er sagte dies, als könne es niemandem sonst gehören.
»Es war die Leidenschaft meiner Kindheit und Jugend.«
»Ich beglückwünsche Euch zu Eurer Wahl«, erwiderte er. »In den Salons von Venedig, wo es viele gute Spieler gibt, habe ich Gambenmusik bewundert, aber nie zuvor habe ich solche Energie und solches Feuer im Spiel gehört.« Er lächelte. »Man könnte sogar sagen, solche Wut.«
Carla spürte ein leises Flattern im Magen.
»Und die Komposition?« fragte er.
»Eine Improvisation von uns.«
»Improvisation?«
»Eine freie Erfindung – eine Verzierung zu einer Suite von Tänzen im französischen Stil.«
»Ah, der Tanz«, sinnierte er. »Wären alle Tänze so beherzt und lebendig, dann hätte ich mich selbst in dieser Kunst versucht, aber sie ist mir fremd.«
»Sie läßt sich erlernen.«
»Nicht an den Kais von Messina. Zumindest nicht in einem Stil, den Ihr wiedererkennen würdet.« Er streckte die Hand zumHals der Gambe aus, berührte sie aber noch nicht. »Darf ich?« fragte er. »Ich habe noch nie ein solches Wunder betastet.«
Als Carla nickte, nahm Tannhäuser das Instrument mit rascher Geste vom Ständer und untersuchte es, warf einen genauen Blick auf die Schnitzarbeiten und die Intarsien und die Maserung des Ahornholzes der Decke.
Er blickte sie an. »Ich habe gehört, daß die Form aus einer Überlagerung von konzentrischen Kreisen entsteht. Die Harmonie dieser Geometrie führt zur Harmonie des Klangs. Aber das wißt Ihr natürlich viel besser als ich.«
Sie wußte es nicht und war
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