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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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frugalen Mahl in die Gemächer des Kardinals zurück.
    Während des Essens hörte sich Ludovico die neuesten Nachrichten an. Mörderische Intrigen im Kardinalskolleg zwischen den Fraktionen der Franzosen und der Habsburger hatten zu einer Messerstecherei im erst halb errichteten Kirchenschiff von Santa Maria degli Angeli geführt. Die Hungersnot, die für den nächsten Winter drohte, hatte einen wilden Handel mit Getreide ausgelöst, von dem der Papst sich noch beträchtlichen Zuwachs für seine Reichtümer erhoffte. Man hatte viertausend Bettler mit Speeren aus der Stadt vertrieben, damit sie anderswo verhungerten. Der üble Verwesungsgeruch, der ihren Leichen entströmte, hatte hysterische Pestfurcht ausgelöst, und man hatte den daraus entstandenen Aufruhr nur unterdrücken können, indem man einige Arbeiterwohnungen niederbrannte, wobei einige Dutzend Menschen ihr Leben verloren hatten.
    Es war in der Ewigen Stadt also alles wie immer.
    Desgleichen in Europa. Die spanischen Habsburger und die französischen Valois standen einander immer noch in verschiedenen Streitereien – auch um diverse italienische Landstriche – mit gezücktem Dolch gegenüber. Seit einem Jahrhundert war Italien nun schon das Schlachtfeld, auf dem die beiden königlichen Familien ihre Fehden austrugen, indem sie es auf diese oder jene Weise untereinander aufteilten und seinen Einwohnern kaum mehr Respekt zollten als den Eingeborenen von Mexiko. Karl V. hatte sogar Rom selbst geplündert und den Papst gefangengesetzt. Nun beraubte sein Sohn Philipp systematisch die reichsten Landstriche – Mailand im Norden und Neapel im Süden. Alle italienischen Patrioten, einschließlich Ludovico und Ghislieri, haßten die beiden Dynastien von ganzem Herzen. Schon lange sehnten sie sich nach einem Italien, das von den spanischen und französischen Eroberern gleichermaßen unabhängig war, aber die Verwirklichung dieses Traums war unter anderem an mehrerenkorrupten Päpsten gescheitert, denen sowohl die Vision als auch die Führungsstärke fehlte, um die verschiedenen italienischen Staaten zu einen. Außerdem war an diesen Mißerfolgen auch ein Mangel an diplomatischen und militärischen Möglichkeiten schuld gewesen. Diese lang schwelenden politischen Krisen hatten Ghislieri dazu getrieben, seinen Ehrgeiz auf den Papstthron zu setzen.
    Ludovico aß seinen Käse auf und sprach Ghislieri auf das Thema an, das ihn hierhergebracht hatte: das Schicksal des Ordens, seine Stellung in der Welt und die Rolle, die er selbst darin spielen konnte.
    »Malta?« fragte Ghislieri. Er war eine knochige Gestalt mit weißem Haar. Sein Verstand war in seinem einundsechzigsten Jahr schärfer als je zuvor. »Die meisten dieser Narren könnten es nicht einmal auf der Landkarte finden, und doch ist es in diesem Sommer in der Stadt in aller Munde. Jedes königliche Haus in ganz Europa möchte sich das Mäntelchen geborgten Ruhmes umhängen.« Er schnaubte verächtlich. »Sogar Elisabeth, die englische Erzketzerin, hatte wahrhaftig die Stirn, Messen für die Befreiung der Ordensritter lesen zu lassen. Und was Medici betrifft, da sollte man meinen, er stünde selbst auf den Festungsmauern und schwenkte das Schwert und läge nicht mit seinen Lustknaben auf dem Lotterbett, die ihm abwechselnd den Schwanz lutschen.«
    »Medici ist ein Zuhälter«, stimmte ihm Ludovico zu. »Wenn er wüßte, daß ich hier in Euren Gemächern bin, würde es mich das Leben kosten, doch ich genieße sein volles Vertrauen.«
    »Gut.« Ghislieri drückte Ludovicos Arm.
    Giovanni Medici war Papst Pius IV. Er regierte nun schon beinahe fünf Jahre und hätte, wenn es nach seinen Verdiensten gegangen wäre, niemals den Stuhl des heiligen Petrus besteigen dürfen. Seine einzige Qualifikation für dieses Amt waren drei Jahrzehnte des Speichelleckens in den schattigen Außenbezirken des Vatikans. Nach drei Monaten, in denen im Konklave von 1559 eine bittere Pattsituation geherrscht hatte, war seine Wahl ein übler Kompromiß gewesen – für den der Clan von Farnese bezahlt hatte und derlediglich Ghislieris Wahl auf den Papstthron verhindern sollte. Medici war kein Freund der Inquisition. Er ging mit Ketzern viel zu milde um und hatte die Tore der Gefängnisse öffnen und viele Abweichler befreien lassen. Korrupt bis auf die Knochen, hatte er sechsundvierzig neue Kardinäle ernannt, was ihm jeder in der einen oder anderen Münze heimzahlte. In seinem Versuch, sich Unsterblichkeit zu sichern, hatte er Millionen

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