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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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immer dichter werdenden Nebel, und die Mannschaften stürzten sich auf die zurückweichenden Geschütze, um sie wieder an ihren Platz zu schieben und die Geschützrohre zu säubern. Die großen Messingkanonenkugeln sprangen vom Lehmboden auf, als hätteder Satan selbst sie dorthin katapultiert, und rissen tiefe Klüfte schreiender Opfer in die Ränge der Osmanen. Von den Festungswällen erschallte Jubel, das Musketenfeuer pfiff von den Steinen, und ein Trupp wütender Ritter belagerte das Provence-Tor und verlangte lautstark, man solle es öffnen, damit sie ihren Blutdurst am Feind stillen könnten.
    Tannhäuser wandte sich von diesem Schauspiel der Wahnsinnigen ab und sah Bors lächeln.
    »Diese Messingkugeln haben wahrscheinlich wir geliefert«, meinte Bors.
    Tannhäuser stellte seinen Gewehrkolben auf den Boden und schüttete eine Ladung Pulver in den Lauf. Ruhm und Ehre? Nein. Noch nicht. Nicht auf diese Entfernung. Und er hoffte, daß er nie näher herankommen würde. Zumindest hoffte das sein besseres Ich. Durch den Geschmack des Schießpulvers hindurch schmeckte er noch Amparos und Carlas Küsse auf den Lippen. Was für ein herrliches Paar die beiden waren! Und wie herrlich sein Leben war!
    Tannhäuser wandte sich Bors zu, während der am Lauf seiner Wallbüchse entlangblickte. »Hast du Wachs dabei?«
    Bors wies mit einem Finger auf sein Ohr, um ihm anzudeuten, daß es mit Wachs verstopft war.
    »Ob ich was dabei habe?«

M ONTAG , 21. M AI 1565
Auf der Anhöhe von Santa Margharita – Auf der Großen Ebene
    Nach Allahs Willen hatten sie nun sechs Stunden lang im Handgemenge gekämpft. In den Strahlen der sinkenden Sonne warfen die erschöpften Krieger lange Schatten, die auf der blutgetränkten Ebene tanzten, als seien nicht nur die Männer, sondern auch ihre Geister vom Wahn erfaßt.
    Abbas bin Murad, der Aga der Sari Bayrak , saß auf seinem kohlschwarzen Araber an der Vorderfront seiner Brigade und konnte sich des Anblicks von Hunderten von Leichen nicht erwehren, die wie Lumpen über das ganze Feld verstreut lagen. Das Verhältnis von Ungläubigen zu Gläubigen war kaum weniger als zehn zu eins. Das mochte man hinnehmen. Es gab keine größere Freude, als für Allah und im Dienste Suleiman Schahs, der Zuflucht aller Völker der Welt, zu sterben. Aber die Spione, die Mustafa versichert hatten, Malta würde sich in zwei Wochen erobern lassen, hatten ihr Leben verwirkt. Abbas hatte seit den Kriegen in Ungarn vor einigen Jahrzehnten nicht gegen die Franken gekämpft. An der Drau hatte er Ferdinands Österreicher besiegt und die Köpfe ihrer Befehlshaber in Tontöpfen nach Konstantinopel geschickt. Als Ferdinand 1538 unklug genug gewesen war, Buda wieder zu besetzen, war der Feldzug des Sultans die Donau entlang ein Spaziergang gewesen. Doch diese Ritter von Johannes dem Täufer – diese Kinder des Satans – waren ein ganz anderer Menschenschlag.
    Die beiden Ritter, ein Franzose und ein Portugiese, die man am Samstag außerhalb von Zeitun gefangengenommen hatte, waren dreißig Stunden lang von Mustafas erfahrensten Folterknechten bearbeitet worden, und keiner hatte ein Wort geäußert, beide hatten nur zu ihrem Gott gebetet. Als sie schließlich zusammengebrochen waren, hatte jeder der beiden Ritter geschworen, der schwächste Punkt in der Verteidigungsfront der Christen sei die Bastion von Kastilien. Tatsächlich hatte dieser Nachmittag grausam deutlich gemacht, daß diese Bastion die stärkste auf der gesamten Umwallung war.
    Abbas schaute zu dem uralten Sklaven hin, dessen Überreste immer noch am Galgen über der Ebene baumelten, wie eine Puppe in einer Dämonenbeschwörung. Die Hinrichtung war eine barbarische Beleidigung, die Abbas am Morgen für eine prahlerische Herausforderung gehalten hatte, doch als sich die Ausfalltore öffneten und eine Reihe von Rittern herauspreschte, um mit Schwert und Streitkolben unter seinen Janitscharen zu wüten,war diese Illusion schnell vergangen. Die Höllenhunde hatten mit so wilder Wut angegriffen, daß es aussah, als hätten die Janitscharen keine andere Wahl, als sich zurückzuziehen. Trotz der hohen Verluste hatten sie sich natürlich nicht zurückgezogen, denn die Tüfekchi wären lieber bis auf den letzten Mann gestorben. Man hatte der Ehre Genüge getan und ein mörderisches Patt erreicht. Die Ritter drängten sich nun um ihre Zugbrücke herum. Der lange Tag ging endlich seinem Ende zu. Abbas saß da und betrachtete das Bild des völligen Durcheinanders. Der

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