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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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erwachsen, doch er war groß, wenn auch nicht so vierschrötig wie viele der maltesischen Männer. Sein Haar war schmutzig, und er trug ein Lederwams, das grob mit Messingnägeln beschlagen war. Seine Hose war zerlumpt und wurde von einer um die Taille gebundenen Schnur hochgehalten. Seine Füße waren nackt und schwielig. In dem Schnurgürtel steckte ein Metzgermesser. Amparo erkannte ihn wieder als den Jungen, den sie bei ihrer Ankunft am Dock gesehen hatte. Damals war er blutbesudelt gewesen, und der verrückte Puppenspieler hatte ihm einen wilden Tanz vorgeführt. Amparo schaute den Jungen wortlos an. Er trat verlegen auf der Stelle und faßte sich wieder.
    »Ihr sprecht Französisch?« fragte er in dieser Sprache, dann auf Spanisch: »Spanisch?«
    Sie nickte, und er fuhr fort, in einem Mischmasch aus beiden Sprachen zu reden. »Seid Ihr verletzt?« fragte er, als er sah, wie sie ihre Knie umschlungen hielt.
    Amparo schüttelte den Kopf. Er schaute am Ufer entlang in beide Richtungen.
    »Das ist kein guter Ort für Euch«, sagte er. »Hier ist es für ein Mädchen nicht sicher.«
    Amparo zeigte zum Himmel, und er blickte auf. Einen Augenblick lang dachte sie, er könnte dies unsinnig finden, aber als er zu ihr zurückschaute, nickte er, als hätte sie sich nicht klarer ausdrücken können.
    »Die Sterne, ja.« Er warf sich in die Brust und deutete mit dem Finger auf das Firmament. »Jungfrau. Großer Bär. Kleiner Bär.« Er schaute zu ihr, um zu sehen, ob sie beeindruckt war. »Hier ist es aber nicht sicher. Die Soldaten. Die Tercios .« Er hielt inne, als hätte er etwas Unfeines angedeutet. Er musterte Amparo, die Arme in die Seiten gestemmt, als sei dies sein Reich. »Ihr friert.«
    Ohne ihre Antwort abzuwarten, machte er kehrt und rannte fort. Seine Schritte klatschten auf den Pflastersteinen, bis wieder alles still war. Amparo fragte sich, ob Tannhäuser schon zurückgekehrt war. Sie wollte gerade zur Herberge aufbrechen, als die Schritte wiederkehrten. Der Junge kam mit einem fadenscheinigen Stück Stoff, das ihm als Decke zu dienen schien, und legte es ihr um die Schulter. Es roch nach Salzwasser. Sie zog es enger um sich.
    »Du bist sehr freundlich«, sagte sie.
    Er zuckte die Schultern. »Ich habe Euch gesehen – mit dem Deutschen.«
    »Dem Deutschen?«
    »Dem großen Mann.« Der Junge machte sich breit, legte eine Hand auf den Knauf seines Messers und äffte einen männlich stolzen Gang nach. »Dem großen Hauptmann, Tannhäuser. Er spioniert für La Valette bei den Türken. Er bewegt sich unter ihnen wie der Wind. Er schneidet ihnen im Schlaf die Kehlen durch.«
    Seine Berichte über Tannhäusers Aktivitäten verstörten Amparo. Sie glaubte ihm nicht.
    »Und mit dem anderen, dem Engländer, dem Stier«, fuhr derJunge fort. »Und mit der schönen Dame. Ihr seid mit ihnen auf der Couronne gekommen, als die Kriegsschiffe der Ungläubigen in Sicht kamen. Ja?«
    Amparo erinnerte sich dran, wie er Tannhäuser angesehen hatte und daß sie in dem Jungen ein Spiegelbild ihres Lebens erblickt hatte, das sie weit hinter sich gelassen hatte. Sie nickte.
    »Ich habe dich auch gesehen, mit dem alten Puppenspieler.«
    »Dem Karagiozi «, berichtigte sie der Junge. Er sah traurig aus.
    Amparo war später an diesem Tag zum Dock zurückgekehrt, und der Alte hatte ungebeten eine Vorstellung seines Theaters der tanzenden Schatten geboten, in einer phantastischen Mischung aus Sprachen gekrächzt. Es schien von einem Reichen zu handeln, der einen armen Mann bat, für ihn zu sterben, und ihm große Belohnungen im Jenseits versprach. Die Handlung mochte ihr alles andere als klar sein, doch der Tanz der Papierfiguren hatte sie entzückt. Als Amparo angedeutet hatte, daß sie keine Münze bei sich hatte und ihn nicht bezahlen konnte, war der Karagiozi vor ihr in den Staub gesunken und hatte ihr die Füße geküßt. Sie hatte ihn nicht wiedergesehen, seit die Soldaten ihn am Tag der Schlacht durch die Straße gezerrt hatten.
    »Wo ist er jetzt?« fragte sie.
    »In der Hölle«, antwortete der Junge.
    »Nein«, erwiderte Amparo. Der Gedanke verletzte sie. »Für diese Seelen wurde die Hölle nicht gemacht.«
    Er dachte darüber nach. »Ganz sicher ist der Karagiozi tot.« Er deutete die Schlaufe des Henkers an, die sich ihm um den Hals zuzog, und ließ den Kopf hängen, daß sie zusammenzuckte. Der Junge grinste, als machte ihn dies zum Mann, während sie nur ein Mädchen war. Dann fuhren seine Augen zu etwas Unsichtbarem im

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