Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.
seelenlos blinkenden Lichtern wirkte der Raum plötzlich noch kälter als das Kommunikationszentrum in der Krypta der Kathedrale.
Direkt vor ihm leuchtete in rhythmischen Abständen ein Warnsignal auf einem Bildschirm auf:
FEHLER ... FEHLER ... FEHLER ... ALLE SYSTEME VON AUTOMATIK AUF LOKAL UMSCHALTEN ... FEHLER ... FEHLER ... FEHLER ...
So einfach war das! Die Vernichtung der Menschheit wurde von den Systemen als schlichter Organisationsfehler bewertet!
Goetz suchte unter den vielen zuckenden Lichtpunkten nach einem Hauptschalter. Die Kontrolle, mit der alle Vernetzungen unterbrochen werden konnten, befand sich unter einer durchsichtigen Abdeckhaube. Es war keine Sensortaste, sondern ein breiter, signalroter Handgriff, wie er früher bei schrankgroßen Ölschaltern üblich gewesen war.
Goetz klappte die Abdeckhaube hoch. Er legte seine Finger um den Griff. Er mußte sich entscheiden. Nichthandeln konnte ebenso falsch sein wie ein Eingriff in die Systeme. Vielleicht sollte er noch einmal den Warnanlagen trauen. Sie konnten kein Interesse daran haben, ihn zu belügen ...
Er drückte den Hebel mit dem Handballen nach hinten. Im gleichen Augenblick seufzte irgendwo etwas auf. Mit einer einzigen Handbewegung bremste er die automatischen, aber längst durcheinandergeratenen Funktionen der Stadt ab. Systeme, die sich nicht mehr untereinander koordinierten, öffneten ihre Plus-Minus-Gatter und erstarben in Mittelpositionen.
Das Rasen der Lichtpunkte auf dem großen Kontrollpult hörte auf. Nur noch ein paar Lampen blieben hell. Langsam wurde das Licht schwächer.
Goetz erinnerte sich an die unangenehmen Erfahrungen in der Kathedrale. Er mußte raus!
Er drehte sich um und lief zu einer der beiden Türen auf der gegenüberliegenden Seite des Kontrollraums. Die Tür war nicht verschlossen. Er gelangte in ein Treppenhaus. Auf dem ersten Absatz lagen drei Männer und eine Frau in orangefarbenen Overalls. Die Toten sahen furchtbar aus, und der Verwesungsgeruch war überwältigend.
Weiter oben entdeckte er weitere Leichen. Die Leute waren offensichtlich nicht sofort tot gewesen. Das mußte noch schrecklicher gewesen sein, als in der Sekunde des Neutronenblitzes zu sterben.
Goetz hastete weiter. Er gelangte in einen Raum, der nicht zu der sterilen Sauberkeit der unteren Etagen passen wollte. Er sah Balken, alte Mauern und eine morsch wirkende Treppe. Kleine Verschlage an den Wänden erinnerten ihn an etwas aus der Zeit vor der Katastrophe.
Vorsichtig stieg er die knarrenden Treppenstufen hoch. Ein schmaler Lichtstreifen in der Dämmerung wies ihm den Weg. Als er oben ankam, zögerte er unwillkürlich.
Die Treppe ... irgendwie kannte er sie!
Er drückte die knarrende Tür auf. Es war das gleiche Geräusch wie in dem Haus, in dem er ...
Er konnte es nicht fassen. Fünf Jahre lang hatte er in diesem Haus gelebt, ohne zu wissen, was unter dem alten Keller vorging! Die ganze Zeit hatte er angenommen, in einem Haus zu wohnen, das durch die Umweltschutzbestimmungen zu einem Stadtteil gehörte, der unter keinen Umständen modernisiert werden durfte. Selbst die Lichtleitungen in seiner Mansarde zogen sich noch als fingerdicke Röhren über die Wände.
Die Sonne schien durch die Scheiben der Haustür auf die Steine des schönen, alten Fußbodens. In einer Ecke stand eine dunkelbraun glänzende Truhe. Darüber hingen die Bilder, über die er sich jeden Abend gefreut hatte.
Er drehte sich um und stieg die teppichbelegten Stufen der Dielentreppe hinauf. Das Haus hatte nur drei Stockwerke. Unten hatte Cohnson gewohnt, ein reizender, etwas schrulliger Beamter des Stadtarchivs. Im ersten Stock waren die Benningsens zu Hause gewesen, ein altes Ehepaar mit einem Faible für okkultistische Seancen und Perserkatzen.
Die dritte Etage wurde schon seit drei Jahren nicht mehr legal bewohnt. Im vergangenen Jahr waren für kurze Zeit mehrere junge Leute eingezogen, die in der Stadt kein Zimmer fanden. Als die Vorsorgliche Behütung feststellte, daß sie alle Anspruch auf mehr Wohnraum hatten, waren sie wieder ausquartiert worden. Seitdem war die dritte Etage leer und versiegelt.
Goetz liebte das alte Haus. Er stieg über die letzten Stufen bis zur Tür seiner Mansarde. Hier oben war es wärmer als unten. Der Geruch nach altem Holz, Teppichen im Treppenhaus und Mauern, die schon fast zweihundert Jahre standen, überdeckte den neuen, süßlichen Hauch von Moder und Verwesung.
Die Tür zu seiner Wohnung war nicht verschlossen. Seit er mit
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