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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Augen. Ludolf war tot. Sie würde nie aufhören, um ihn zu trauern, aber das war eine Sache, die ganz allein sie betraf ...
    Wie um sich abzulenken rührte sie weiter im Kessel.
    »Wo ist Hanns?« rief sie, ohne aufzublicken. »Wir müssen das Obst verteilen und das Gemüse!«
    Zwischen den Feuern planschten Kinder in einem neugeschaffenen Wasserbecken. Einige Frauen rubbelten auf blanken Steinen die Wäsche ihrer Familien. Die Männer hatten gegen alle Verbote auf geheimen Wegen Werkzeuge, Lebensmittel und Gerätschaften aus dem Dorf besorgt. Sie kannten das Sakriversum besser als die Bankerts.
    Hanns kam mit einer großen Speckseite und einem Bündel klappernden Geschirr zum Feuer.
    »Wo warst du denn so lange?«
    Hanns zuckte nur mit den Schultern. Er nahm sich einen Napf und schöpfte etwas Fleischbrühe aus dem Kessel. Leise schlürfend setzte er sich neben Jan.
    Wenige Augenblicke später kamen Ulf und Dietleib von einem Erkundungsgang zum See zurück. Sie brachten prallgefüllte Fischreusen, Runkelrüben, Honigwaben und Beutel mit getrockneten Gewürzen mit. Ulf trug einen Verband um den Kopf.
    »Na bitte«, sagte Mathilda. »Wenn das in allen Familien so gut läuft, schaffen wir’s mindestens bis zur Johannisnacht ...«
    Sie sah zu den anderen Feuern hinüber. Nachdem die Bankerts und die Clan-Chefs den steinigen Hügel zwischen dem Abendzeichen und dem Eichberg verlassen hatten, waren die Familien enger zusammengerückt.
    Ohne große Worte hatten sie alles verteilt, was zunächst die Sammler und dann auch die anderen gefunden und geholt hatten. An allen Feuern herrschte Frieden. Selbst die Kinder weinten nicht mehr. Sie wußten nicht, daß hinter dem Wald Fremde durch Zimmer, Kammern und Kemenaten in ihrem Heimatdorf wankten ...
    Mathilda schüttete den Rest Fleischbrühe in einen Holztopf. Sie nahm den Kessel und ging zum Wasserbecken. Als sie ihn fast erreicht hatte, sah sie am Waldrand einen hinkenden Schatten.
    »Lello!«
    Ihr Aufschrei lähmte das ganze Lager. Fast alle erwarteten, daß Corvays Narr so schnell wie möglich unter den Bäumen verschwinden würde, doch Lello drehte sich nur um und wartete.
    Mit einer linkischen Bewegung hob er seine arg mitgenommen wirkende Klampfe.
    »Kann ich ... kann ich zu euch kommen?«
    »Was willst du?« rief Mathilda. »Hat dich dieser größenwahnsinnige Barbar geschickt?«
    »Nein! Ich gehe nicht mehr zurück. Ich habe Agnes bei mir ... und wir sind hungrig ...«
    Mathilda ließ vor Schreck den Kessel fallen. Er polterte laut über den schrägen Steinhügel. Von den Feuern näherten sich junge Männer, Mädchen und ein paar Kinder.
    »Wieso ist Agnes bei dir? Was hast du denn nur mit ihr gemacht?«
    »Ich ... ich habe sie gefunden!«
    »Wo ist Guntram?«
    »Ich weiß es nicht!«
    Lello humpelte in den Wald zurück. Gleich darauf kam er mit Agnes zurück. Mathilda vergaß ihren Ärger und ihre Trauer. Sie raffte die Röcke und eilte ihrer Pflegetochter entgegen. Sie lachten und weinten als sie sich in die Arme fielen.
    »Du kleines, dummes Mädchen!« sagte Mathilda immer wieder. Sie streichelte über das dichte blonde Haar von Agnes. Lello stand einige Schritte abseits. Verlegen trat er von einem Fuß auf den anderen.
    Mathilda nahm Agnes’ Kopf in beide Hände. Sie beugte sich etwas zurück und musterte ihr Gesicht.
    »Du hast dich verändert«, sagte sie schließlich. Agnes sah, wie ein feines Lächeln um Mathildas Mundwinkel spielte. Sie wurde unwillkürlich rot. Dann lachten sie beide.
    »Guntram«, fragte Mathilda.
    »Er ist mein Mann.«
    »Hm - und warum läßt er dich dann mit jenem dort allein?«
    Agnes schlug die Augen nieder.
    »Es hat etwas mit dem zu tun, was Meister Wolfram ihm unten in den Kellern aufgetragen hat.«
    »Du weißt, daß er tot ist?«
    »Lello hat mir alles erzählt, was ihr beim Aufstieg ins Sakriversum mitgemacht habt«, sagte Agnes leise. »Er war sehr nett zu mir ...«
    »Sein Glück!« sagte Mathilda. »Ich habe Hanns schon Vorwürfe gemacht, daß er dich nicht heute nacht schon mitgebracht hat. Was wollte Lello eigentlich von dir?«
    »Ich glaube, daß er nur nach einem Weg suchte, zu euch zu kommen. Er sagt, daß er mit uns verwandt ist. Stimmt das wirklich?«
    Mathilda nickte.
    »Es gibt sehr viel, was du bisher nicht wissen durftest. Aber das hat sich nun geändert. Komm, nimm ihn mit! Ich werde euch etwas zu essen machen ...«
    Agnes nickte Lello zu. Gemeinsam gingen sie an den murmelnden und tuschelnden Schandern vorbei

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