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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Er tappte über festgestampften Lehm bis zum großen Tor an der Südseite des Hauses. Der hölzerne Riegel war so vertrackt gesichert, daß er ihn nicht aufbekam. Er ging zu einem kleinen Fenster neben dem Tor. Hier war es leichter.
    Er zog das Fenster auf und sah nach draußen in einen hübschen, wenn auch verwilderten Vorgarten. Auf der anderen Straßenseite erkannte er weitere Häuser. Sie sahen alle gleich aus mit ihren schief zusammengesetzten Mauern, ihren hohen Dächern und ihren geschnitzten Giebelbalken.
    Behende kletterte er durch das kleine Fenster. Der bis zu den Knien reichende Kittel behinderte ihn kaum. Er war weit genug und fühlte sich angenehm auf der Haut an.
    Lello wartete einige Minuten vor dem Haus, in dem er die vergangene Nacht zugebracht hatte. Es war das obere an der Westseite des Dorfes. Bis auf den Lärm, den Hühner, Ziegen, Schafe und Schweine im tieferen Teil des Sakriversums veranstalteten, rührte sich nichts. Lello fragte sich, was die Tiere aufgescheucht haben mochte. Normal klang das jedenfalls nicht. Oder etwa doch?
    Woher wollte er wissen, was in dieser seltsamen, abgeschiedenen Welt unter dem Dach der Kathedrale normal war?
    Er schüttelte den Kopf. Noch während er darüber nachdachte, kamen zwei Männer hinter den Büschen auf der anderen Straßenseite hervor. Sie sahen sich nach allen Richtungen um, ehe sie den Weg zur Dorfmitte einschlugen.
    Es waren Jan und Pete von der Artistengruppe. Sie trugen weite, resedafarbene Umhänge aus Leinen über Hosen, die an den Knöcheln zusammengebunden waren. An ihren breiten Gürteln hingen Lederbeutel, lange Messer und kleine Sprechfunkgeräte.
    Lello hätte die Dinger nicht erkannt, wenn sie nicht plötzlich stehengeblieben wären. Jan sprach in ein Gerät. Lello konnte nicht verstehen, was er sagte. Aber er ahnte, daß die beiden eine Art Wache bildeten.
    Das war nicht gut für ihn. Eine Wache im Dorf bedeutete, daß König Corvay und seine Berater mit Zwischenfällen rechneten. Es konnte auch sein, daß sie jemanden suchten! Ihn vielleicht?
    Lello wurde blaß. Er trat von einem Fuß auf den anderen. Was, wenn die anderen aufwachten und die Häuser durchsuchten? Wenn sie ihn fanden, zum Dorfplatz schleppten und nach den neuen Gesetzen feierlich an der Linde aufhängten?
    Er strich sich über seinen Hals. Kein angenehmer Gedanke! Ganz und gar nicht angenehm!
    Er mußte weg! Hastig kletterte er wieder durch das Fenster. In der Diele konnte er nichts sehen. Er tastete sich bis zur Leitertreppe, die zum Alkoven über den Stallbuchten führte. Sein Herz schlug immer heftiger. Er raffte ein paar Sachen zusammen, die neben dem Bett lagen. In einer Ecke fand er grob zusammengenähte Lederschuhe und einen Gürtel mit Taschen an geflochtenen Riemen.
    An der Wand hing ein Paar Hosen. Er zog sie an, band den Gürtel um und stieg wieder nach unten.
    Die Schander und die Bankerts in der Küche schliefen noch. Lello stopfte ein paar Lebensmittel in die Gürtelbeutel, dann lief er zum Fenster an der Stirnwand der Diele zurück. Er kletterte nach draußen. Vorsichtig humpelte er durch den Vorgarten zur Straße.
    Jan und Pete waren nicht mehr zu sehen. Lello schlug sich in die Büsche. Geduckt eilte er durch das Kleefeld, das den ersten Hügel westlich des Dorfes bedeckte.
    Er war noch nicht in der Mitte, als sich das Licht im Sakriversum veränderte. Vollkommen unerwartet wurde es wieder dunkel ...
    *
    Guntram beugte sich vor. Vorsichtig näherte er sich dem riesigen Kopf. Er kannte ihn, hatte ihn schon einmal gesehen ...
    Dann waren also doch nicht alle Weltlichen tot!
    Der fremde Mann lag auf dem Bauch wie ein gefällter Baum. Er hatte seine Arme ausgestreckt, und es sah so aus, als wäre er durch das Rosetten-Fenster des Abendzeichens gestiegen und gleich darauf nach vorn gefallen.
    Guntram ging zweimal um den großen Körper herum. So aus der Nähe hatte er noch nie einen Weltlichen gesehen. Sie sahen eigentlich genauso aus wie er selbst und die Schander - nur ungefähr achtmal größer!
    Eigentlich hatte Guntram erwartet, die Angehörigen seines Volkes am Eichberg oder am Sündanger zu treffen. Er war dicht unterhalb der Teufelsmauer zwischen den Weinstöcken nach Westen gegangen. Im fahlen, falschen Dämmerlicht des Morgens hatte er die liegende Gestalt zuerst übersehen. Er hatte die Feuerstellen überprüft und war bis zum großen Loch im Fenster gegangen. Erst als er sich wieder umdrehte, hatte er plötzlich Füße mit Schuhen gesehen, die

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