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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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von Agnes trennte?
    Er wußte, daß er eine Botschaft von Meister Wolfram und Meister Albrecht in sich trug. Seit der Flucht aus den Bleikellern reagierte er wie einer, den der Hafer gestochen hatte.
    Vor jeder Flucht nach unten aßen die Schander eine mit allerlei Kräutern aufgekochte Haferspeise. Sie machte ihnen Mut und gab ihnen die Kraft, alles zu erdulden. Aber es hatte auch schon Fälle gegeben, bei denen Angehörige des Volkes laut schreiend bis zum Irrlichtmoor gerannt waren ...
    Guntram atmete tief durch. Manchmal war es schon schwer, die alten Bräuche und die eigenen Empfindungen unter ein Dach zu bringen!
    Er blickte nach oben. Soeben leuchteten die ersten der Beryllos-Linsen wie funkelnde Kristalle auf. Was vorher eine milde Morgendämmerung gewesen war, erstrahlte plötzlich in allen Farben des Regenbogens. Die Tiere des Sakriversums erwachten. Überall begrüßten sich Vogelstimmen. Die Hühner unten im Dorf gackerten, die jungen Hähne krähten und unten auf den Wiesen meckerten Ziegen.
    Guntram genoß das Erwachen seiner Welt. Sie lag wie der längst verlorene Garten Eden unter ihm, in den Gott den Menschen setzte, auf daß er ihn bewahrte ...
    Die Weltlichen hatten ihren Garten nicht bewahrt! Sie hatten nur versucht, sich die Natur untertan zu machen, und dann zu herrschen über die Fische im Meer, über die Vögel im Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht. Und dabei hatten sie zuerst die Schöpfung und dann sich selbst zerstört.
    Guntram verstand plötzlich den Großen Plan. Schon die Baumeister der gotischen Kathedralen mußten geahnt haben, daß ihr gesamtes Wirken vergeblich war. Nur deshalb konnte einer von ihnen auf den phantastischen Gedanken gekommen sein, die Zukunft heimlich zu betrügen. Er hatte eine Insel aufgebaut, eine Oase im Selbstvernichtungssturm der Wissenschaft und der angeblichen Befreiung der Menschheit ...
    Guntram wunderte sich über seine eigenen Gedanken. Noch nie zuvor hatte er darüber nachgedacht, welchen Sinn die Existenz des Sakriversums hatte.
    Jetzt sah er es.
    Es war nach Noah der letzte und geheimste Versuch, wenigstens einen winzigen Teil der Menschheit vor der wahnwitzigen Lust am Untergang zu retten.
    Gotische Kathedralen. Hunderte von steinernen Inseln in einer immer hektischer werdenden Welt. Und in einer das Sakriversum ...
    An den östlichen Fenstern stimmte etwas nicht! Die Lukensteine zwischen den Pfeilern über den Aasbergen waren viel zu weit geöffnet! Sie standen auf wie an den trüben, kalten Wintertagen, in denen Schnee und Frost und graues Tageslicht über die leeren Felder ziehen sollte, um Würmer, die nicht nötig waren, Insekten, Keime und andere Reste aus dem Erntejahr einzufrieren.
    Guntram legte die linke Hand über die Augen. Er blickte über den Flachsberg, den Weizenberg, den Gerstenberg und den Haferberg bis zum Sammelgrund. Über dem Kompostanger lag ein weißblauer Dunstschleier. Es war schon lange nicht mehr vorgekommen, daß Nebel in einem Tal des Sakriversums auftauchten ...
    Guntram musterte die fernen Fensteröffnungen. Sie wirkten wie diffuse Durchbrüche in eine andere Welt. Was war geschehen?
    Er erinnerte sich daran, daß Nancy McGowan bei ihrer Flucht aus dem Buch-Heim wahllos verschiedene Hebel an der Wand neben der Ausgangstür heruntergerissen hatte. Sie hatte nicht wissen können, daß sie damit Seilzüge straffte, Signale veränderte und die komplizierte Mechanik des Sakriversums nachhaltig beeinflußte ...
    Entsetzt erkannte Guntram, wie sich plötzlich die Blenden von den Beryllos-Linsen im Dach der Kathedrale verengten. Es wurde wieder dunkel, noch ehe der Tag richtig angefangen hatte.
    Gleichzeitig begann der Bach unterhalb der Behausung von Meister Albrecht schneller zu fließen. Aus den Zisternen an der Teufelsmauer ergossen sich immer neue Wassermassen. Sie überfluteten die Schleusensperren für den Bach und die Bewässerungskanäle. Nur wenig später sprengten sie die aus Pflanzenfasern geflochtenen Filter in den Quellbrunnen der Grundstücke.
    Ganz unten drückte das Wasser Faulgase aus der Erde. In den verbotenen Gebieten, zu denen nur ausgewählte Männer und Frauen aus der Familie von Meister Otto Zugang hatten, stiegen blakende Flammen auf. Obwohl es immer dunkler wurde, tauchte der weißblaue Feuerschein über dem Irrlichtmoor das Sakriversum in ein gespenstisch flackerndes Licht.
    Guntram sah, wie Schafe und Ziegen zum See flohen. Die meisten Muttertiere mußten qualvoll an

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