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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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bewegten sich kaum noch. Es war wie eine Windstille des Lebens.
    Jetzt herrschte eine ähnliche, abwartende Stimmung im Dämmerlicht des Sakriversums. Die Bankerts hatten alle Feuer gelöscht. Selbst die Fackel unter der Linde blakte nicht mehr. Die Überlebenden der Menschheit versteckten sich vor dem einen, der sie gefunden hatte ...
    »Erzähl mir, was geschehen ist, als du mit Guntram beisammen warst!«
    Nancy lächelte kaum merklich. Sie trat einen Schritt zurück, dann sprang sie über den Bach. Sie setzte sich zwei Schritte von Agnes entfernt auf einen Stein. Und dann berichtete sie von sich selbst und davon, wie Guntram Logenmeister geworden war.
    *
    Viel tiefer stolperte zur gleichen Zeit Lello am dunklen See entlang. Er war um die südwestlichen Gärten herumgegangen. Das Dorf lag jetzt oberhalb von ihm.
    Lello wußte nicht, warum es plötzlich so dunkel geworden war, aber er war auf der Nordseite unter dem Dach der Kathedrale aufgewachsen. Dort hatte es niemals lange Licht gegeben.
    Obwohl er hinkte, bewegte er sich mit der Geschicklichkeit einer Katze im Dunkeln. Vielleicht war dieser Vorteil eine der Fähigkeiten, die nur Bankerts besaßen ...
    Im Osten erkannte er eine Herde von Ziegen. Sie standen wie erstarrt auf der schrägen Wiese. Als er nach Westen blickte, entdeckte er Schafe und einen mageren Hund, der leise jaulend zum Lichtstreifen an der Teufelsmauer hochsah.
    Daß Schafe und Ziegen einige Wochen ohne Betreuung ausgekommen waren, konnte er noch verstehen. Aber der Hund? Wie hatte sich der Hütehund ernährt?
    Lello schüttelte den Kopf. Es war schon merkwürdig auf der Südseite des Sakriversums ...
    Als er weiterhinkte, wäre er fast über ein Rudel Schweine gestolpert. Sie lagen im Uferschlamm des Sees ohne sich zu bewegen. Die kurzen, speckwülstigen Tiere grunzten ängstlich, als er an ihnen vorbeiging.
    Er folgte dem Abfluß des Sees. Das Wasser strömte über steinerne Stufen tiefer. Auch das Wiesengebiet wurde so steil, daß es eine Terrassenform mit kleinen, geraden Stützmauern annahm. Gleichzeitig verringerte sich der Abstand zur großen, schrägen Dachfläche der Kathedrale.
    Plötzlich blieb Lello stehen. Er sah nach unten. Dort, wo das Dach und die Wiesen zusammenstießen, leuchtete ein blaues Feuerband:
    Das Irrlichtmoor !
    Es roch wie aus den Gullis unten in der Stadt, ehe ein Regenschauer niederging. Faulgase ...
    Lello kletterte noch einige Terrassenstufen tiefer. Er entdeckte ein in den steinig werdenden Boden gehauenes Kanalsystem mit Seilen über schmalen Schleusentoren, Staubecken und geschmiedeten Metallkuppeln, die sich wie Gasometer heben oder senken konnten.
    Voller Bewunderung versuchte Lello, den Sinn der Anlage zu verstehen. Wenn zutraf, was er dachte, hatten die Schander schon seit Jahrhunderten eine alternative, aber natürliche Energiequelle genutzt ...
    Während er tiefer stieg, sah er mit Harz und Wachs abgedichtete Leinenschläuche, Bleirohre und immer wieder Scheidekessel. Ganz unten zischte leise Methangas aus Ventilen. Die blauen Flammen des Irrlichtmoors waren nichts anderes als ein abgefackelter Energie-Überschuß!
    Die Schander hatten nichts verschwendet. Über den Gasflammen hingen seltsame Töpfe mit Schürzen an den Kanten. Von den Oberseiten führten isolierte Rohre zu Apparaten, die wie Turbinen, gläserne Schaufelräder und Dampfzylinder aussahen.
    Sie hatten sich sogar ein Kraftwerk für ihre kleine Welt gebaut!
    »Phantastisch!« hauchte Lello. Im gleichen Augenblick schwirrte eine Art Vogel aus dem Gebälk der nahen Dachkonstruktion. Er segelte auf ihn zu und starrte ihn mit einem großen, gläsern wirkenden Auge mitten im Kopf an.
    Lello sah sofort, daß dieser Vogel niemals aus einem Ei geschlüpft sein konnte. Er kam ihm eher wie eine dieser ferngelenkten, unbemannten Drohnen vor, die schon seit mehr als fünfzig Jahren überall spionierten.
    Diese Drohne war ein Meisterwerk der Mikro-Elektronik - nicht größer als der Daumennagel eines Weltlichen , mit Federschwingen an den Seiten, einem bunten Steuerschwanz und einem gut getarnten Kamera-Objektiv.
    Lello blickte in das dunkelrot glühende Auge.
    Sie hatten es gewußt!
    Irgend jemand unten in der Stadt hatte mit den subtilsten und aufwendigsten Methoden die Parallelwelt unter dem Dach der Kathedrale heimlich überwacht ...
    Aber wer? Wer konnte denn schon viele Jahre vor dem Ende der Menschheit ein Interesse daran gehabt haben, die Entwicklung der Schander und der Bankerts zu

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