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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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dachte.
    Die Städte auf der Erde waren bereits ein Kapitel der Vergangenheit. Wenn es überhaupt eine Zukunft gab, dann in der kleinen Welt über dem hohen Mittelschiff der Kathedrale.
    Er blickte nach oben. Nichts deutete darauf hin, daß dort oben, wo sich die steinernen Gewölberippen im warmen Licht vereinten, Menschen wohnen konnten.
    Was immer auch geschah - er würde niemals wieder unbefangen an einer Kathedrale vorbeigehen können, ohne zu ihrem Dach hinaufzusehen ...
    Bis Mitternacht war noch viel Zeit. Er ging um den Altar herum. Auch die Türen zur Krypta standen offen. Goetz wollte bereits in die Kommunikationsräume hinabsteigen, als er es sich anders überlegte. Ihn interessierte nicht mehr, was die Manipulatoren der Kirche in den letzten Monaten und Wochen vor der Katastrophe alles unterlassen hatten. Aber hätten sie sie verhindern können?
    Guntram hatte ihm mitgeteilt, vor welchen Problemen die alten und neuen Bewohner des Sakriversums standen. Selbst wenn sie gemeinsam alle Kraft aufwandten, um die verwahrlosten Felder jetzt noch zu bestellen, konnten sie die kleine Welt bis zum Winter nicht wieder in Ordnung bringen.
    Sie würden hungern - und wie sich dann die Eindringlinge benahmen, war vorauszusehen.
    Goetz erkannte, daß es in den nächsten Monaten viel Arbeit für ihn geben würde. Er allein war in der Lage, die Versorgung von Schandern für Bankerts für mindestens zwei Jahre zu organisieren.
    Erst nach diesem Zeitraum würden die Menschen im Sakriversum wieder fähig sein, alle Bewohner aus eigener Kraft zu ernähren.
    Entschlossen drehte Goetz sich um. Er ging zur Treppe, die zum Vorratskeller hinter dem zwölfeckigen Raum mit den toten Geistlichen. Es roch nicht mehr muffig und nach Verwesung. Trotzdem zögerte er kurz, ehe er die Stufen hinabging, und blickte zu Boden.
    Der tote Küster war verschwunden!
    Für einen Augenblick mußte Goetz sich am steinernen Geländer festhalten. Er sah, daß die schwere, eisenbeschlagene Holztür zum zwölfeckigen Raum einen Spaltbreit geöffnet war.
    Sein Herz klopfte plötzlich wie verrückt.
    Wer hatte den Leichnam fortgeschafft?
    Jetzt empfand er doch wieder das bedrückende Gefühl der ersten Tage. War er auch hier nicht mehr allein?
    Behutsam zog er die schwere Tür weiter auf. Das Licht war noch so grell wie vorher. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die meterdicken Mauern. Vorsichtig blinzelte er über seine linke Schulter hinweg in den zwölfeckigen Raum.
    Die Mumien saßen noch immer um den Tisch. Doch jetzt sahen sie aus, als würden sie beim leisesten Windhauch zerfallen. Noch etwas hatte sich verändert: Am Tisch saßen nicht mehr zwölf Personen, sondern dreizehn!
    »Du kannst ruhig hereinkommen«, sagte die MUSE.
    Ärger stieg in ihm hoch. Er wollte nicht, daß sich irgendein vorprogrammierter Apparat in seine Angelegenheiten mischte! Es interessierte ihn nicht, ob sie wie ein grauer Kasten oder eine verführerische Frau aussah.
    Er brauchte weder ein Multi-Secretary-Modell noch die Holografie-Projektion irgendeiner Traumfrau!
    Entschlossen trat er ganz ins Licht.
    »Was soll das?«
    »Ich habe auf dich gewartet.«
    »Wie reizend!« sagte er sarkastisch. »Bis über den Tod hinaus! Über den Tod der gesamten Menschheit! Es könnte ja noch einer übrigbleiben ... und der braucht wieder einen Wachhund.«
    »Du hast das Sakriversum also gefunden«, sagte die MUSE.
    »Ja, ich habe es gefunden!« sagte er ungeduldig. »Und jetzt verschwinde! Ich habe viel zu tun ...«
    »Das hatte ich sowieso vor.« Sie lächelte beinahe wehmütig. Sie stand auf und kam um den Tisch herum. Ihre Arme legten sich wie körperlich um seine Schultern. Die Projektion war absolut perfekt.
    Er spürte ihre Körperwärme, hörte ihren Atem und roch den feinen Duft eines Blütenparfüms. Dann fühlte er, wie ihre Lippen seine Lippen sanft und weich berührten.
    Er hob die Arme und - griff durch sie hindurch.
    »Wir werden uns nie wiedersehen«, sagte sie einen halben Meter von ihm entfernt. Ihre Stimme klang sehr leise. Gleichzeitig löste sie sich wie ein Lichtgemälde an Kathedralenfenstern auf, wenn Wolken vor die Sonne ziehen.
    Der graue Kasten stand drei Meter von ihm entfernt.
    »Wir konnten dir nur Wege zeigen«, sagte eine alte, zitternde Männerstimme aus dem Kasten. »Du selbst mußtest entscheiden, ob du sie gehen wolltest. Deshalb warst du der größte Risikofaktor des Plans, der mit dem Bau gotischer Kathedralen begann ...«
    Es knackte, dann verstummte

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