Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.
würden? Mit diesen Schandern , die auch noch ›danke‹ sagen, wenn man sie in den Hintern tritt?«
»Niemand konnte wissen, wie das Sakriversum siebenhundert Jahre nach seiner Errichtung aussehen würde«, sagte Galus ernst. »Die nicht denkbaren Entwicklungen machen die Planung des Lebens zum größten Roulettespiel des Universums. Und wer einmal mit Verbesserungen anfängt, dem kann eines Tages nicht einmal der Zufall oder die Wahrscheinlichkeit helfen ...«
»Helfen?« schnaufte Corvay verwirrt. »Wovon redest du eigentlich?«
Galus sah an Corvay vorbei nach Westen. Die Sonne schien durch die bunten Fensterscheiben des Abendzeichens. Aus den Kaminen stiegen leicht gekräuselte Rauchfäden nach oben. Hinter den Gärten zogen sich dunkle, frischbearbeitete Ackerstreifen über die Hügel. Kinder lachten, und aus den geöffneten Küchenfenstern drang der Geruch von Kräuterbrühe.
»Und es ist doch ein Wunder, daß sie noch leben!« sagte Galus leise. »Siebenhundert Jahre in ständiger Gefahr von außen! Generationen, die nur durch ein geheimnisvolles Vermächtnis zusammengehalten wurden! Eine verschworene Gemeinschaft, die alle Schwierigkeiten überwand, weil sie an eine höhere Bestimmung glaubte! Und dennoch hätten sie zum Schluß beinahe aufgegeben.«
»In den Bleikellern.« Hector nickte. »Da haben wir ihnen ganz schön Beine gemacht!«
»So war es vorgesehen !« stimmte Galus zu.
Corvay ballte die Hände zu Fäusten. Er wurde plötzlich dunkelrot im Gesicht. Mit einem tierisch röhrenden Aufschrei stürzte er sich auf Galus.
»Du verfluchte Kreatur!« brüllte er. Sein Mund verzerrte sich, während seine Hände nach dem dürren Hals des Arztes griffen.
»Du hast das alles vorgesehen ? Etwa sogar geplant und längst gewußt, daß niemand gegen diese Schander ankommt, wie?«
Hector holte tief Luft. Er spannte seine Brustmuskeln so sehr an, daß die Riemen unter seinem Kittel knirschten.
»Der betrogene Betrüger!« meckerte Menennery Luck höhnisch. Er sprang wie ein böses Rumpelstilzchen um Corvay und Galus herum. Mit einem tiefen, unwilligen Knurren ließ Hector seine breiten Hände auf Corvays Arme fallen. Er faßte mit einer schulmäßigen Bewegung nach, stemmte die Füße ins Gras und riß Corvay hoch.
Im gleichen Augenblick knallten Fehlzündungen durch das Sakriversum. Jan, Pete und Bronco kamen mit wilden, schlingernden Bewegungen auf Jans Motorrad über die holperige Dorfstraße. Jan fuhr, die beiden anderen klammerten sich links und rechts an ihn.
Unmittelbar hinter ihnen rannten Schander zur Dorfmitte, allen voran Hanns, Dietleib und Ulf. Sie schleppten Sensen, Dreschflegel und Zaunlatten. Einige hielten Äxte in den Fäusten, andere ließen Fangschnüre mit Steinbrocken an den Enden über den Köpfen kreisen.
Von der Westseite näherte sich entschlossen singend eine Gruppe Frauen. Sie wurden von Mathilda angeführt.
Nur die Clan-Chefs zeigten sich nicht.
Hector stieß Corvay zur Seite. Der König stolperte. Er rutschte über das Gras zum Bach hinab. Galus massierte sich den Hals. Er schnappte nach Luft. Mit grauweißem Gesicht wankte er zur Bank unter der Linde.
Hector zog den Kopf ein. Er winkelte die Arme an und ging in Angriffsposition, ehe er sich stampfend einmal um seine Achse drehte.
»Du bist ein Wahnsinniger!« brüllte er Menennery Luck an. Es war, als hätte er erst jetzt begriffen, daß der zwielichtige Advokat Schuld an der Verwirrung sein mußte.
Jetzt brachen auch noch betrunkene Bankerts durch die Büsche.
Hector verzog sein Gesicht. Er wußte nicht, was er tun sollte. Jan, Pete und Bronco schleuderten mit ihrem lärmenden Motorrad direkt vor ihn. Das Knallen verstummte. Bronco und Pete sprangen ab. Sie liefen zu Corvay.
»Was ist hier los?« wollte Jan wissen.
»Ich weiß es auch nicht ... es hat ganz plötzlich angefangen.«
»Menennery Luck?«
»Ja.«
»Das war schon lange überfällig!« preßte Jan zwischen den Zähnen hervor. »Was ist mit Corvay?«
»Er ging ganz plötzlich auf Galus los.«
»Was? Wollte Galus etwa auch weg?«
»Nein, nein!« sagte Hector kopfschüttelnd. »Galus hat nichts mit Menennery Luck zu tun!«
»Mit wem denn sonst?«
»Ich weiß es nicht, verdammt noch mal! Hier ist doch jeder gegen jeden!«
»Bei uns vielleicht! Die Schander sehen ziemlich einig und entschlossen aus.«
Hector schluckte. Er starrte auf die von allen Seiten immer näher kommenden Gruppen. Sie waren langsamer geworden.
»Die wirken aber nicht mehr
Weitere Kostenlose Bücher