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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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und mußte deshalb fort«, sagte Agnes verwirrt.
    »Das war die offizielle Version! Außer den Logenmeistern, Meister Albrecht und mir kannte niemand den wahren Grund für Ekkehards Aufbruch. Wir wußten, daß in den letzten Tagen der Menschheit Fremde versuchen würden, bei uns Schutz und Sicherheit zu finden. Es hat auch draußen immer einige Eingeweihte gegeben ...«
    »Die Bankerts ! «
    »Die auch.« Otto nickte. »Deshalb sollte dein Vater die fehlende Hälfte von Rolands Testament finden. Denn nur alle Bruchstücke zusammen konnten uns das wiedergeben, was wir in den Jahrhunderten vergessen haben.«
    »Vergessen?« fragte Agnes entsetzt.
    Meister Otto nickte betrübt.
    »Wir sollten niemals alles wissen! Es hätte uns zu sehr belastet! Siebenhundert Jahre sind eine lange Zeit, Agnes! Du kannst von Menschen nicht verlangen, daß sie immer nur so leben, wie ihre Väter es gewollt haben! Denn jedes große Erbe ist gleichzeitig eine Last!«
    Sie sah den sonst so stillen Clan-Chef lange an.
    »Hast du deshalb meine Puppe genommen?« fragte sie dann.
    Er nickte. Gleichzeitig sah er, wie Tränen über Agnes Wangen liefen. Es hatte etwas mit ihrem Vater zu tun. Und mit Guntram.
    »Vergiß nie, daß du nicht allein bist«, sagte Otto sanft.
    Sie griff in ihre Taschen. Sie reichte ihm die Puppe und den Amethysten aus dem Familien-Zeichen der Alchimisten.
    »Wir haben auch etwas!« sagte in diesem Augenblick eine Stimme hinter ihnen. Agnes und Otto fuhren zusammen. Lello trat aus den Büschen hervor. Nancy McGowan folgte ihm.
    Lello streckte die Hände aus. In seinen Handflächen lagen elf Halbedelsteine.
    »Ich habe sie eingesammelt, ehe Corvay dazu kam.« Er grinste.
    »Aber ... wie konntest du wissen ...?«
    »Ein guter Narr weiß alles!«
    »Und hier ist mein Geschenk für die Schander! « sagte Nancy lächelnd. Sie hob ihre Bluse. Um ihre Taille hing eine schwere, goldene Kette mit einem großen Medaillon. »Die erste Hälfte des Testaments! Ich habe heute nacht Llewellyn Corvay euer Eigentum geklaut.«
    Sie blickte zu Lello. Er nickte und legte seinen Arm um ihre Schultern.
    »Manchmal sind Mißgeburten doch ganz brauchbar, oder?«
    Agnes wußte noch immer nicht, was sie davon halten sollte. Lello und Nancy sahen ihr verdutztes Gesicht und lachten.
    »Lello hat dich die ganze Zeit gesucht«, sagte Nancy zu Agnes. »Und als er mich traf, hat er mir erzählt, daß Corvay heute nacht mit den Clan-Chefs im Buch-Heim war. Er hatte sich verkleidet ...«
    »Mit meinem Hut und meinem Mantel!« stöhnte Meister Otto. »Das habe ich doch gleich geahnt.«
    »Du hast geschlafen!« unterbrach ihn Agnes.
    »Bieterolf wartet auf die Steine«, sagte Lello. »Er will mit Guntram Kontakt aufnehmen und dafür braucht er sie!«
    Agnes begann plötzlich zu zittern. Sie wurde blaß und wankte.
    »Was hast du, Agnes?« fragte Lello besorgt.
    Nancy drängte ihn zur Seite. Sie fing Agnes auf, ehe sie zusammensinken konnte.
    »Guntram ...«, murmelte Agnes tonlos, »das Testament ... er hat die zweite Hälfte verloren ...«
    Nancy ließ sie ins Gras sinken.
    »Ist sie krank?« fragte Lello. Nancy richtete sich langsam auf. Sie sah ihn mit einem langen, unergründlichen Blick an.
    »Nein«, sagte sie. »Das kommt schon manchmal vor, wenn man schwanger ist ...«
    *
    Die Kälte war schlimmer als alles andere. In der vorangegangenen Nacht war Guntram noch dankbar und erleichtert gewesen. Inzwischen wußte er, daß er die Flugmaschine nicht mehr starten konnte.
    Dort, wo sich die leeren Speicherräume für die Vorräte einer langen Reise befanden, klaffte ein mehrere Fuß langer Riß im Boden. Die Kälte leckte mit feuchten, langsam in Reif übergehenden Zungen immer tiefer in den Bauch des goldenen Vogels hinein.
    Mehrmals hatte er ein hartes Schaben gehört. Es wurde von knisternden und platschenden Geräuschen begleitet. Seit gut zwei Stunden, wußte er, was das bedeutete:
    Die Flugmaschine rutschte Stück für Stück tiefer in einer Mulde aus schmelzendem Eis ...
    Der goldene Vogel hatte sich in der Nacht ein Nest aus dampfendem Wasser zwischen den glasgrün aufragenden Eiswänden geschaffen. Ein Teil des Bruchspalts war noch immer mit Nebelschwaden gefüllt.
    Immer wieder streifte Guntram durch alle Abteilungen der Flugmaschine. Voller Bewunderung entdeckte er kunstvoll angelegte Stege und Emporen. In manchen Segmenten erinnerten ihn die Verzierungen und Bögen an die Harmonie der Kathedrale. Er konnte sich gut vorstellen, wie es gewesen

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