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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Wand neben der Turmtür. »Sie haben natürlich eine Sondergenehmigung!«
    Goetz starrte den Gitterschlitz verwirrt an.
    »Eine Sondergenehmigung?«
    »Selbstverständlich. Als Oberbürgermeister stehen Ihnen doch alle Türen offen ...«
    Es knirschte leise. Die Turmtür schwenkte automatisch nach innen.
    »Treten Sie bitte ein!«
    »Danke«, sagte Goetz geistesabwesend und ging einen Schritt vor. Plötzlich stutzte er, drehte sich auf dem Absatz um und beugte sich dicht vor den Gitterschlitz. Ganz langsam hob er das durchsichtige Helmvisier.
    »Wieso Oberbürgermeister?«
    »Oh - wenn Sie mehr Wert darauf legen, als Geschäftsführer angesprochen zu werden oder als Vorstandsvorsitzender ...«
    »Sonst noch was?« fragte Goetz sarkastisch.
    »Aber gern, Herr Direktor ...«
    »Direktor? Wessen Direktor?«
    »Legen Sie Wert auf alle Positionen? Ich werde sie auf Sie übertragen müssen. So lautet meine Weisung.«
    »Nein, nein«, sagte Goetz kopfschüttelnd. »Natürlich nur die wichtigsten!«
    »Ihre Verfügungsgewalt als Geschäftsführer oder Vorstandsvorsitzender bezieht sich selbstverständlich auf die Stadtreinigung, das E-Werk, die Gasanstalt, die Montanstahl-Gruppe, die Flughafen AG, die Beier-Eynk-Raffinerie und den Zechenverband Südkohle. Sie haben natürlich auch in Ihrer Funktion als Präsident der Industrie und Handelskammer oder als Leiter des Fremdenverkehrsvereins jederzeit Zutritt zu allen Räumen der Kathedrale ...«
    Goetz von Coburg blieb eine volle Minute regungslos vor dem Gitterschlitz in der Wand stehen. Entweder leistete sich eine durchgedrehte Elektronik makabre Scherze, oder aber ...
    Nein, das konnte nicht sein!
    Er mußte herausfinden, ob er durch Zufall auf eine wertvolle Informationsquelle gestoßen war oder auf eine Art kaputte Schallplatte, auf der immer wieder die gleiche Rille gespielt wurde.
    Zum erstenmal seit der Katastrophe vor dreiundvierzig Tagen grinste er. Zunächst probierte er ein paar harmlose Fragen.
    »Ich hätte da ein kleines Problem. Ist es möglich, daß Sie mir darauf antworten?«
    »Selbstverständlich - im ... Suchton ... Rahmen der Vorschriften!«
    »Aha«, nickte Goetz. »Dann möchte ich gern erfahren, warum der gesamte Domplatz überschwemmt ist!«
    »Eine peinliche Angelegenheit«, sagte sein unsichtbarer Gesprächspartner. »Die Systeme wurden zwar ordnungsgemäß programmiert, aber eine totale Versorgungssperre in einem Stadtbezirk kann nur durch den technischen Direktor der Wasserwerke erfolgen.«
    »Und wer ist das?«
    »Sie natürlich!«
    »Natürlich«, nickte Goetz. »Aber ... was müßte ich dafür tun?«
    »Geben Sie die entsprechende Anordnung!«
    »Ausgezeichnet! Das ist hiermit geschehen ...«
    »Nein«, antwortete die Stimme aus dem Rillengitter in der Wand. »Das ist so nicht möglich.«
    »Und warum nicht?«
    »Weil zwischen der Diözese des Bischofs und den zentralen Verwaltungsrechnern der Stadt nur im kulturellen und finanziellen Bereich Standleitungen eingerichtet wurden. Weisungen anderer Art sind nicht kompatibel. Verschiedene Systeme, verstehen Sie?«
    »Hm«, sagte Goetz. »Wo muß ich hingehen, um das Wasser abzudrehen?«
    Suchton - »In die Stadtverwaltung oder direkt ins Wasserwerk.«
    »Und wie, zum Teufel, soll ich dorthin kommen? Etwa schwimmen?«
    »Das wäre eine Möglichkeit.«
    »Und der Bischof ...«
    »Sie sind der Bischof!«
    Goetz von Coburg schnappte nach Luft. Dann schüttelte er den Kopf und kicherte in sich hinein. Das war der Gipfel! Wenn er nicht bald aus dieser wahnsinnig gewordenen Stadt herauskam, konnte niemand ihm übelnehmen, daß er selbst überschnappte.
    Niemand?
    »Wünschen Sie weitere Auskünfte?«
    Goetz wischte sich über die Augen.
    »Schon gut«, sagte er zu der Gitterplatte an der Mauer. Er strich mit seinem linken Handschuh über die Rillen. »Ich geh’ ja schon ...«
    Mit hängenden Armen wankte er durch die geöffnete Turmtür. Die Stufen waren ausgetreten. Er zählte zwölf bis zum ersten Absatz. Wie ein allerletzter Soldat drehte er sich um neunzig Grad auf dem Absatz nach rechts und stieg das nächste Dutzend Stufen höher. Wieder eine Drehung, wieder zwölf Stufen.
    Und immer weiter so.

8. KAPITEL
    Werkleute sind wir. Knappen, Jünger, Meister,
    und bauen dich, du hohes Mittelschiff.
    Und manchmal kommt ein ernster Hergereister,
    geht wie ein Glanz durch unsre hundert Geister
    und zeigt uns zitternd einen neuen Griff ...
    Sie waren gut vorangekommen. Obwohl die Sonne noch nicht sehr tief

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