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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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mit uns geschehen ist!« »Das war nicht unser Fehler! Die Weltlichen haben sich selbst vernichtet.«
    »Du verstehst mich nicht! Ich meine, was mit uns geschehen ist in den vergangenen Jahrhunderten ...«
    Guntram nestelte etwas Schokolade aus seinem Hosensack. Er bot ihr ein Stück an.
    »Es schmeckt bitter und süß gleichzeitig, aber ich glaube, es ist nahrhaft!«
    »Warum weichst du mir aus?«
    »Weil ich keine Antwort auf diese Fragen habe! Großvater hat gesagt, daß es mit dem Sakriversum zusammenhängt - mit dem Staub, der sich von den Bleiplatten des Daches löst ...«
    »So steht es in der Chronik. Aber das kann nicht alles sein! Außerdem wachsen wir seit zwei Generationen wieder etwas. Sieh dich an oder mich: als wir noch im Sakriversum lebten, waren wir schon fast zwei Finger größer als die anderen!«
    »Wenn wir wieder in unserer Heimat sind, werde ich die alten Schriften studieren«, versprach Guntram, »bis ich dir sagen kann, was vor mir noch kein Magier und kein Alchimist herausgefunden hat! Wir werden ein Geschlecht gründen, das eines Tages so groß und stark sein wird, daß es auf den Ruinen dort unten eine neue Zivilisation aufbauen kann ...«
    Sie schmiegte sich an ihn.
    »Du bist ein großes Kind, Guntram! Hast du völlig vergessen, daß wir nicht allein sind? Denk nur an Corvay. Wenn er das Sakriversum findet, wird er alles zerstören, was unser Volk aufgebaut hat ...«
    »Das wird er nicht!«
    Guntram sprang auf. Er stellte sich auf das Sims, das an der Unterkante des Daches an der Südseite des Mittelschiffs entlanglief. Mit einer entschlossenen Bewegung zog er sein Hakenmesser. »Wir werden kämpfen, Agnes! Wir werden weder Corvay noch irgendeinen anderen ins Sakriversum lassen - nur unsere eigenen Leute ...«
    »Wenn sie es schaffen ...«
    Guntram preßte die Lippen zusammen.
    Wir sollten lieber versuchen, möglichst schnell Nahrungsmittel zu finden«, sagte Agnes. »Damit könnten wir viel mehr erreichen als mit sinnlosen Waffengängen! Oder hältst du das auch nur für eine Weiberidee?«
    »Nein«, sagte Guntram nachdenklich. Er steckte sein Messer wieder in den Gürtel. »Du hast recht!«
    Sie sprachen nicht mehr über die unerwartete Begegnung mit einem Weltlichen. Für einige Zeit hatten sie geglaubt und gehofft, daß es keine Weltlichen mehr gab, vor denen sie sich verstecken mußten, aber es blieben wohl bei jeder Pest, bei jeder Hungersnot und bei jedem Krieg immer Menschen übrig, die zu vernünftig waren, um heldenhaft zu sterben ...
    Agnes ging einige Schritte am Sims entlang. Sie kletterte über steinerne Pfeiler, Ornamente und verwitterte Dekorationen.
    »Hier müßte es gewesen sein!« rief sie plötzlich.
    Guntram schreckte hoch.
    »Was meinst du?«
    »Das Abendzeichen! Erinnerst du dich nicht?«
    »Natürlich, aber es ist doch erst Vormittag ...«
    »Dummkopf!« lachte Agnes. »Komm her und sieh dir an, was ich gefunden habe!«
    Guntram kletterte über die Pfeiler. Agnes zeigte auf eine Rosette an der Stirnwand des hohen Daches.
    »Zwölf Säulen gehen wie die Streben eines Rades vom runden Fenster aus, in dem Christus als Weltenrichter thront«, sagte sie ernst wie bei einem innigen Gebet. »Die Säulen sind die Zwölf-Zahl, die Jünger und Apostel. Und durch das Licht dieser Fenster entstand das Abendzeichen in unserem Sakriversum ...«
    »Und im äußeren Kreis zwölf Sonnenrosen!« sagte Guntram. »Zwölf Fenster, zwölf Säulen, zwölf Rosen! Das ist das Abendzeichen sechsunddreißig! Du hast es gefunden, Agnes! Du hast es tatsächlich gefunden!«
    Er nahm sie in die Arme und tanzte mit ihr auf dem schmalen Sims zwischen den beiden hochaufragenden Kathedralentürmen hin und her.
    »Hör auf«, sagte sie lachend. »Du nimmst mir ja die Luft!«
    Er ließ sie los und lehnte sich glücklich lachend an einen Strebepfeiler.
    »So einfach«, sagte er kopfschüttelnd. »Aber wir hatten bisher nicht erkannt, was wir von innen immer nur als magisches und geheimnisvolles Lichtspiel sehen durften! Weißt du noch, wie du zum erstenmal die schräg ins Sakriversum leuchtenden Farben trinken durftest?«
    »Ich hatte ein langes, weißes Kleid an und geflochtene Sandalen«, sagte sie und nickte. »Mein Haar fiel auf die Schultern und auf dem Kopf trug ich das Sternzeichen der Logenmeister ...
    »Ich war mit schwerem Lederzeug gegürtet. Das Schwert an meiner Seite war noch schwerer als der Becher, den Meister Wolfram mir zum Trunk der ersten Männlichkeit gereicht hat.«
    Sie sahen

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