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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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sich in die Augen. Und beide spürten sie, daß sie jetzt nichts mehr trennen konnte.
    »Das Paradies«, lächelte Agnes.
    »Unser Paradies ...«
    Guntram sah seine Schwester lange an.
    »Hast du etwas dagegen, Eva zu sein?«
    »Nein, Adam«, sagte sie lächelnd.
    Guntram zog sein Messer. Mit einem einzigen, wuchtigen Hieb zertrümmerte er eine der bunten Scheiben an der Unterkante des richtigen Rosettenfensters. Denn es gab drei davon an der westlichen Fassade der großen Kathedrale ...
    *
    Goetz von Coburg beugte sich über den Bildschirm des Lesegerätes. Nach zehn Stunden Schlaf und einem kräftigen Frühstück mit Kaffee, tiefgefrorenem Schinkenrührei, Kefir und gebackenen Blätterteighörnchen mit Orangenmarmelade fühlte er sich stark und unternehmungslustig.
    Die Wunden an seinem Kopf brannten nicht mehr. Er wußte, daß er noch immer wie ein entsprungener Sträfling aus den finsteren Jahrhunderten aussah, aber er litt nicht mehr darunter.
    Er bewegte den Suchhebel unterhalb des grünlich schimmernden Bildschirms. Langsam bekam er wieder Gefühl in seine Fingerspitzen. Der Suchhebel funktionierte wie eine dreidimensionale Sonde im Meer der gespeicherten Informationen. Rechts und links befanden sich die abgestuften Grade von Bedeutungsgegenständen, oben und unten die vertikalen Suchgruppen.
    Der Suchhebel hatte außerdem noch zwei weitere Funktionen. Sobald Goetz von Coburg ihn tiefer drückte, beschleunigte sich der Suchlauf auf dem Bildschirm. Wenn er den kleinen Knopf an der Spitze des Suchhebels drehte, konnte er »Denksprünge« in vereinfachender oder komplizierender Form programmieren ...
    Während er mit Daumen und Mittelfinger der rechten Hand den Suchhebel bediente, lag der Ringfinger seiner Linken auf der Speichertaste. Jedesmal, wenn er eine interessante Information auf dem Bildschirm zu erkennen glaubte, tippte er sie in den digitalen Selektions-Speicher.
    Als Redakteur hatte er gelernt, den Wust permanenter Informationen in einer Mischform aus Logik und Emotion zu beurteilen. Es hatte niemals ein Rezept oder einen Lehrgang für die Fähigkeit gegeben, vorauszuahnen, was wichtig werden könnte ...
    Er selektierte.
    Synopsen. Scheinbar willkürliche Reaktionen. Auswahl nach dem Zufallsprinzip. Verdichtungen. Diktatur aus Meinung und Empfindung. Nicht objektiv, sondern in jeder Phase angreifbar, schwach, unlogisch und seelisch nackt.
    Mit jedem Zittern seiner Fingerkuppen tauchte er tiefer in das Wissen und das Wollen von Zivilisationen ein, die es nicht mehr gab. Warum war jede Hochkultur am Gipfelpunkt ihrer Blüte wie eine ausgebrannte Raketenstufe in die Vergessenheit zurückgefallen?
    Dreidimensional und farbig huschten Holografiebilder über den kleinen Bildschirm. Was früher nur durch Aneinanderreihungen von Buchstaben interpretierbar gewesen war, konnte er jetzt bildhaft sehen.
    Die Priester waren wesentlich weiter gewesen als die Nachrichten-Redaktionen!
    Verwundert tastete sich Goetz von Coburg durch die ungeheure Vielfalt der Eindrücke, die sich vor ihm auf dem Bildschirm zeigte. Das war kein nüchternes Betrachten mehr, kein Sehen und Empfinden! Er kam sich plötzlich wie in einem geheimnisvollen Zaubergarten vor. Es war, als würde er zum erstenmal in seinem Leben die Dinge wahrhaft vor sich sehen, die ihn sonst nur in Träumen erschreckt und verwundert hatten ...
    Bunte Lichtkaskaden verschlangen sich unter mächtigen Orgeltönen ineinander. Er sah Gesichter von Kirchenfürsten. Sie wirkten wie Ikonen, ehe sie sie sich zu Seifenblasen verformten und zerplatzten.
    Heerscharen von kleinen, mechanisch aussehenden Rittern auf ebenso kleinen, hektisch keuchenden Pferden stürmten gegen die Tore Jerusalems. Jedesmal, wenn sie eine vergebliche Attacke vom Garten Getsemaneh über die steilen Bergflanken bis zum Goldenen Tor versuchten, das sich, einer alten Überlieferung zufolge, nur alle 1000 Jahre öffnete, verwandelten sich die Symbole auf dem Bildschirm.
    Computerspiele!
    Ein närrisches Durcheinander aus ungeordneten Informationen.
    Humpty Dumpty. Alice im Wunderland. E = mc 2 ...
    Sie hatten schon immer alles gewußt, geahnt oder auch geglaubt!
    Geheimnisse der Eingeweihten, die sich von einem Kulturkreis auf den anderen vererbt hatten. Wer waren diese Priester, Schamanen und angeblichen Seher wirklich gewesen? Wie waren scheinbar unbedeutende Männer dazu gekommen, plötzlich aufzustehen und Religionen zu stiften?
    Goetz fühlte, wie ihm bei den Gedanken an die Geheimnisse, die er

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