Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.
war die gleiche Frauenstimme wie vorher.
»Ja, das heißt ... nein, ich meine ...«
»Ach ja, die Messe!«
»Nein, verdammt noch mal!« fluchte Goetz. Der graue Teewagen glitt unwillkürlich einen halben Meter zurück.
»Nicht?«
»Nein!«
»Ungewöhnlich! Äußerst ungewöhnlich!« murmelte die kompakte Roboteinheit. Sie drehte sich einmal im Kreis, ehe sie einen erneuten Annäherungsversuch wagte.
»Keine Messe?«
»Nein!«
»Vielleicht ein Abendmahl?«
Goetz von Coburg starrte den ebenso harmlos wie scheinheilig wirkenden Kasten an. Die Konsole schien zu merken, daß sie einen Verhaltensfehler gemacht hatte. Ihr Auto-Korrektur-System reagierte wie ein kleiner, mechanischer Beamter.
Der Teewagen drehte sich einmal um seine Achse. An seiner Vorderseite fuhren dünne Antennen aus. Die Piepser aus seinen Lautsprechern klangen wie Morsezeichen. In kurzen Folgen zwitscherte ein hohes Di-da-di-ditt aus den murmelgroßen Resonanzschwingern an den Spitzen der Antennen.
»Was soll der Unsinn?«
Überall an den Wänden begannen die Trommeln mit Magnetplatten und Speicherdrähten zu surren. Die Lichtsignale benahmen sich wie ein aufgeregter Organismus.
Goetz von Coburg preßte seine Finger gegen die Vorderkanten der Armlehnen. Der graue Sessel schoß bis vor die schrägen Doppelfenster der Kontrollkanzel. Gerade noch rechtzeitig konnte er anhalten. Er flog zurück. Sein Rücken schlug in die weichen Polster.
Der Teewagen folgte ihm wie ein geprügelter Hund. Er klickte leise, dann bot er ihm ungebeten einen Drink an. Ein weißes Plastik-Tablett mit mehreren Vertiefungen schob sich langsam über den Rand der Sessellehne. Goetz sah unwillig zur Seite.
»Scotch? Wodka? Bier?« fragte die Stimme aus dem automatischen Diener zaghaft.
»Tomatensaft!« knurrte Goetz streng.
Ein kleines, quadratisches Zellstoff-Handtuch erschien. Gleich darauf hielt er einen Becher mit Tomatensaft, Wodka und Eiswürfeln in der Hand.
»Reagierst du ... reagierst du immer so direkt?« fragte er verdutzt.
»Ich bin das neueste Multi-Secretary-Modell «, sagte der Teewagen. »Die zur Zeit beste MUSE , Kapazität 96-60-86 ...« »Aha«, sagte Goetz mit einem skeptischen Blick auf die Maße der Service-Konsole. »Und was bedeutet der Zahlenkode?«
»Die Speicherfähigkeit natürlich ...«
»Natürlich!« Goetz fühlte sich irgendwie erleichtert. Er sah den grauen Kasten eine Weile an.
»Wie möchtest du gern genannt werden?« fragte er schließlich.
»Sag einfach MUSE , das bin ich so gewöhnt vom Bischof und den Priestern ...«
Goetz nickte. Der kleine graue Kasten war ihm wesentlich sympathischer als die Informations-Bildschirme.
»Sag mal, MUSE , was kannst du eigentlich?« fragte er.
»Was du willst: rechnen, schreiben, servieren, organisieren, nett zu Gästen sein ... na ja, du weißt schon!«
»Ja«, sagte Goetz, obwohl er es nicht wußte.
»Ich koordiniere deine Termine, buche die Flüge und melde dich krank, wenn du keine Lust hast, auf Konferenzen zu erscheinen. Als Chef vom Dienst hast du ein verbrieftes Anrecht auf einen Manager-Service Erster Klasse.«
»Na schön«, sagte Goetz und lehnte sich zurück. Nach den vielen Tagen der Einsamkeit genoß er es, wieder einen Gesprächspartner zu haben - auch wenn es nur das elektronische Konzentrat einer Sekretärin war ...
»Was weißt du von mir?« fragte er unvermittelt.
»Alles«, antwortete der kleine graue Kasten.
»Du weißt, wer ich bin, wo ich herkomme und was geschehen ist?«
»Ja.«
»Weißt du das wirklich?«
»Eigentlich ist diese Frage eine Beleidigung für eine MUSE !«
»Entschuldige bitte«, sagte Goetz verwirrt.
»Schon gut!«
Goetz sah den unattraktiven grauen Kasten lange an. Er wußte nicht, was sich in seinem Inneren verbarg. Die Multi-Secretary mußte eine Art Schwester, Mutter und Geliebte gleichzeitig sein. Auf jeden Fall hatten sich die Konstrukteure dieses Dienstleistungscomputers intensiv mit den psychologischen Rahmenbedingungen seines späteren Einsatzortes befaßt ...
»Ich ... ich gehöre nicht hierher«, sagte Goetz vorsichtig.
»Ich weiß«, sagte die MUSE sanft.
»Ich komme von draußen, und ich glaube, daß ich der letzte Mensch bin ...«
»Das ist verständlich, aber gleichzeitig etwas zu arrogant!«
»Soll das heißen, daß es noch andere Menschen gibt?«
Die MUSE schwieg.
»Einen neuen Drink?« fragte sie dann.
Goetz schüttelte den Kopf. Er wollte sich nicht ablenken lassen.
»Du hast gesagt, daß du mir antworten
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