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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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über zerbrochene Teller und überall verstreute Gerätschaften. Für einen Augenblick blieb er vor dem Holzschrank auf der anderen Seite des Herdes stehen, in dem die Hausbatterien, die Bernsteinscheiben und die mit Werg und Bienenwachs isolierten Bleischnüre aufbewahrt wurden.
    Jedes Haus im Dorf hatte einen Batterieschrank. Und wenn die Frauen abends Wolle spannen, drehten sie gleichzeitig die Bernsteinscheiben, durch deren Funkenkraft die Batterien aufgeladen wurden. Schon vor Jahrhunderten waren am Bach seltsame Apparate aufgebaut worden, die ähnlich funktionieren sollten wie die Bernsteinscheiben. Ihre Leitungen führten zum Buch-Heim und von dort zur Teufelsmauer und zum Irrlichtmoor.
    Guntram und Agnes wußten nicht viel davon. Dinge wie diese gehörten zu den Geheimnissen der Clan-Chefs ...
    Die Geschwister kauten genüßlich das altbackene Brot, bis es weich und süß schmeckte. Ab und zu schnitten sie sich eine schmale Scheibe Wurst ab. Guntram hatte einen halben Krug Wein aus der Vorratskammer hinter der Küche geholt. Schon nach dem zweiten Becher fühlte er, wie ihm das Blut schwerer durch die Adern floß.
    »Morgen mache ich Salat aus jungem Löwenzahn«, sagte Agnes.
    »Ich werde sehen, ob es schon Brennesseln für ein gutes Gemüse gibt«, nickte Guntram. »Wir haben lange nichts Frisches mehr gehabt.«
    Sie sprachen bereits wie ein altes Ehepaar. Als sie es merkten, mußten sie unwillkürlich lachen.
    »Hast du noch Lust, schwimmen zu gehen?« fragte Agnes. Guntram stöhnte.
    »Ich bin so satt wie schon lange nicht mehr!«
    »Ach, komm, es ist doch nicht weit bis zum See! Außerdem haben wir beide ein Bad dringend nötig ...«
    »Also gut! Du hast gewonnen!«
    Sie lachte, beugte sich vor und küßte ihn auf die Wange. Fröhlich und unbeschwert sprang Agnes auf. Sie lief zu den Wandschränken zwischen der Küche und der Diele, holte grobgewebte Handtücher heraus, Leinenhosen und einen Kittel für Guntram, einen bunten Rock und eine weiße Bluse mit weiten Ärmeln für sich selbst, dazu ein Mieder, gestrickte Strümpfe und viele Bänder.
    »Komm!« rief sie ihrem Bruder zu.
    Guntram erhob sich leise protestierend von der Sitzbank. Agnes wartete, bis er neben ihr war, dann nahm sie ihn am Arm und führte ihn nach draußen.
    Das Licht der Sonne war glutrot geworden.
    Die Geschwister brauchten nur wenige Augenblicke, bis sie den See unterhalb der Dorflinde erreichten. Sie kleideten sich aus, faßten sich an und liefen gemeinsam ins Wasser. Sie lachten, prusteten und planschten, schwammen ein Stück hinaus und ließen den Schmutz der bösen Tage hinter sich.
    Als sie zum Ufer zurückkehrten, ging die Sonne im Sakriversum unter. Nackt, wie sie waren, ließen sie sich in den warmen Sand am Rand des Sees fallen. Sie keuchten noch, strichen über nasse Haut und merkten plötzlich, daß da mehr war als Geschwisterliebe.
    Es wurde Nacht unter dem Dach der Kathedrale, und die Geschwister fanden endlich das, wonach sie sich so lange gesehnt hatten:
    Sie fanden ihr Zuhause. Das war das beste aller Gefühle ...

12. KAPITEL
    Goetz wachte mitten in der Nacht auf. Er brauchte eine Weile, bis er verstand, wo er war. Nach einem langen, schweren Tag, an dem er fünfzehn Futterstellen überall in der Kathedrale angelegt hatte, war er vollkommen erschöpft zur MUSE zurückgekehrt.
    Er aß etwas, und kurz darauf mußte er eingeschlafen sein. Er träumte von der MUSE , die keineswegs ein grauer eckiger Kasten war, sondern einen perfekten Frauenkörper hatte, und ihm mit ihrer sinnlichen Altstimme zärtliche Worte ins Ohr flüsterte.
    Als er erwachte, merkte er sofort, daß irgend etwas nicht stimmte.
    Er blinzelte ins Dämmerlicht der inneren Zentrale. Die Toten über den verschiedenen Bühnen hingen noch immer in ihren Regie-Sesseln. Dort hatte sich nichts verändert.
    Aber die MUSE war verschwunden.
    Er schlug die Decken seiner Lagerstatt zurück. Ein fruchtigfrischer Duft kam aus dem Bettzeug. Verwundert registrierte er, daß er nackt geschlafen hatte.
    Er tastete über die langsam abheilenden Wunden an seinem Körper. An einigen Stellen war seine Haut glatt und ohne alle Haare.
    Er nahm ein sauberes Laken und schlang es um seinen Körper. Irgend jemand hatte ihn geduscht, gewaschen und mit Salben eingecremt!
    Die MUSE ?
    Goetz schüttelte den Kopf. Natürlich vermutete er, daß die kleine Dienstleistungs-Hexe ihre Roboter-Hände im Spiel hatte. Wer konnte wissen, was sie sonst noch alles mit ihm anstellen

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