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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Abend, zu dem er zwei befreundete Redakteure mit ihren Frauen eingeladen hatte. Obwohl private Abendessen längst verboten waren, wollten sie selber kochen. Einer hatte Tomaten organisiert, der andere Butter, Schmalz und Käse. Die große Überraschung sollte eine Flasche Wein sein, die Goetz vor fünf Jahren von seinem Vater geschenkt bekommen hatte ...
    Das Unwetter überraschte ihn nur fünfzig Meter vor seiner Wohnung. Der schwere Regen kam so plötzlich wie am Abend vorher. Die Meteo-Satelliten hatten keine Vorwarnung gegeben. Das passierte in den letzten Monaten immer häufiger!
    Goetz fand gerade noch Zeit, in einen ungesicherten Hausflur zu stürzen. Gleich darauf rasselten die Schutzgitter nach unten. Sie zerquetschten alles, was er in seiner Tasche hatte.
    Für eine Nacht war er Gefangener der Vorsorglichen Behütung . Erst am nächsten Morgen kamen zwei VOBs in schwarzen Uniformen und nahmen ihn wortlos mit. Das Problem waren die Eier und der Schinken: verbotene Lebensmittel, Verdacht auf vorsätzlichen Energiediebstahl zur Zubereitung einer Mahlzeit ...
    Sie hatten ihm ziemlich klar gesagt, was das bedeutete.
    *
    Er wischte sich über die Augen. Bilder auf den Monitoren zeigten nur noch Sturm und Regen. Wieder wollte er bereits abschalten, als der Regen über dem fremden Dorf schlagartig aufhörte. Es war, als hätte ein unbekannter Wettermacher die Schleusen des Himmels einfach geschlossen.
    Goetz beugte sich vor.
    Hunderte von feinen Sonnenstrahlen vereinten sich zu einer Glocke aus gelblich-weißem Licht. Während das Wasser gurgelnd abfloß, richteten sich Blumen und Gräser wieder auf. Die Häuser sahen aus wie frisch gestrichen.
    Jetzt tauchten auch die Tiere wieder auf. Es waren viel mehr als vorher. Auf Zäunen und Mauern putzten sich Vögel. Eine knubbelige Sau suhlte sich mit ihren Ferkeln im Straßenschlamm. Nicht weit entfernt rammte ein Eber mißmutig gegen die Latten seines Kobens.
    Weiße Hühner traten kopfruckend und mit spitzen Krallen in die Pfützen. Unweit der Dorflinde zerrte eine Amsel mit ihrem gelben Schnabel an einem langen, feuchtglänzenden Regenwurm. Winzige Haselmäuse putzten ihr Fell, und in den Bienenstöcken an den Seiten der Fachwerkhäuser begann ein reges Treiben.
    Goetz hatte lange nicht mehr so viele unterschiedliche Tiere gesehen. Er wußte nicht, wo das alles aufgenommen worden war, aber er wünschte sich plötzlich, diesen Platz zu finden. Es mußte schön sein, dort zu leben ...
    Er seufzte und beobachtete weiter die Tiere.
    Doch dann tauchten plötzlich Menschen auf.
    Im ersten Augenblick dachte Goetz, daß sie zum Dorf gehörten. Er beugte sich vor. Auf mehreren Monitoren gleichzeitig sah er durchnäßte Gestalten, die von den oberen Feldern zu den Häusern stolperten. Schiebend, rutschend und schwankend taumelten sie aus der Dunkelheit oben am Berg ins Licht.
    Die Kameras zoomten sofort auf stärkste Vergrößerung. Goetz sah Gesichter, die ihn erschreckten und gleichzeitig sein Mitleid erregten. Er sah Hunger und Habgier, Angst und Erschöpfung. Noch ehe die vollkommen unterschiedlichen Gruppen die Häuser an der Straße erreicht hatten, wußte er, daß es nicht ihr Dorf war ...
    Die regennassen Gestalten fielen wie Wölfe über die verlassene Siedlung her. Die ersten griffen sich Hühner, drehten ihnen die Hälse um und tranken ihr Blut. Die nächsten klammerten sich um die Leiber der Ziegen, bespritzten sich mit Milch und bissen mit den Zähnen in die Zitzen.
    Andere - Männer, Frauen und Kinder - drangen in die verlassenen Häuser ein. Mit Wurzelstöcken, Knüppeln und Feldsteinen schlugen sie die Scheiben ein. Sie brachen Türen auf und taumelten zu den Speisekammern hinter sauber verlassenen Kammern und Küchen ...
    Goetz konnte nicht alles sehen. Was wirklich in den zwölf Häusern geschah, blieb ihm verborgen. Er sah nur, wie fünf Dutzend Wilde das Dorf ausplünderten. Sie schleppten Schweinehälften, Würste an langen Stangen und Weinkrüge auf die Straße. Einige machten ein Feuer unter der Linde. Sie warfen Möbelstücke in die Flammen, rammten Latten in den nassen Boden und hängten Kupferkessel über Eisenstangen.
    Die meisten fraßen noch, während die Fülle der Beute aus ihren Armen fiel. Irdene Krüge kreisten von einem Mann zum anderen. Frau und Kinder suchten im Schlamm nach dem, was die Männer in ihrer Trunkenheit verloren hatten.
    Als das erste Haus brannte, johlten die ausgehungerten Gestalten. Einige tanzten durch den Matsch, in einer

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